rail blog 144 / Michael Jung

Neue S-Bahnzüge für München – zum Nutzen des Herstellers oder der Fahrgäste?

Eine der üblichen Jubel Pressemitteilungen der Deutschen Bahn – Interessant ist, was nicht gesagt wird:

Die hier verlinkte PM der DB muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.

In München werden Politik und Bürger langsam gewahr, welch ein Kuckucksei die DB mit der 2. S-Bahnstammstrecke den Münchnern in die Schuhe gelegt hat. Und durch eine positive PM  über die Bestellung neuer S-Bahnzüge, die aber erst ab  2028 ausgeliefert werden, soll wieder schön Wetter gemacht werden.

Das interessante ist, dass diese Bestellung, die im Wesentlichen vom bayrischen Staat (über ein Leasing Modell) finanziert wird. Das ist  nichts als nackte Industrieförderung für Siemens als einem der größtem industriellen Arbeitgeber in Bayern.

Die Münchner S-Bahn ist gut mit Fahrzeugen der Baureihe 423 (reurbished) ausgestattet. Eine Nachbestellung der modifizierten jetzigen Baureihe würde sich anbieten. Aber diese Baureihe wird nicht von Siemens gefertigt, sondern von Bombardier, jetzt Alstom. Eine Bestellung von S-Bahnen, die ab 2028 geliefert werden sollen, ist verfrüht, wer weiß, was an technischen Innovationen bis dahin kommt. Eine Bestellung in 2025 hätte vollständig ausgereicht.

Die Züge sind überspezifiziert: eine Antriebsleistung von 7,8 MW, fast so viel wie ein ICE, ist deutlich überhöht, eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h ist im S-Bahnverkehr mit doch relativ kurzen Haltestellenabständen eher überzogen, 140 km/h reichen da allemal aus. Denn auch bei rasanter Beschleunigung können auf nur wenigen Streckenabschnitten die 160 km/h voll ausgefahren werden. Die jetzige Baureihe 423 hat gerade einmal 2,35 MW Antriebsleistung und eine Vmax von 140 km/h. Da die Züge zumindest nach Zulaufschild der Animation der Presseerklärung auf der Strecke zum Flughafen eingesetzt werden sollen, stellt sich doch zuerst die Frage: Wann wird die Strecke derzeit nur für 120 km/h zugelassene Strecke dorthin auf 160 km/h ausgebaut bevor futuristische Fahrzeuge beschafft werden. Ein weiteres Problem ist die unregelmäßige Taktung der zwei auf verschiedenen Stercken im 20 Minutentakt fahrenden Flughafenlinien, sodass sich selbst zur HVZ Taktlücken von bis zu 15 Minuten auf dem Weg in die Innenstadt ergeben. In Hamburg fahren die S-Bahnen alle 10 Minuten vom Flughafen in die Innenstadt.

In der PM wird betont, die Züge seien ca. 3 Meter breit. Das sind die Fahrzeuge der Bestandsbaureihen auch, Insoweit gibt es keinen Komfortgewinn.

Aber das Spannendste der XXL-Züge ist: auf 1.840 Plätze insgesamt, gibt es nur 480 Sitzplätze, davon nur 390 reguläre und 80 auf Klappsitzen. Das heißt nichts anderes, für nur weniger als ¼ der Fahrgäste stehen reguläre Sitzplätze zur Verfügung! Also Reisen im Stehen, wie in der Sardinendose, dann aber mit 160 km/h! Und das auch noch mit viel Gepäck auf der Fahrt zum Münchner Flughafen!  Und dann stellt sich die Frage: „Wo sind denn die von der Decke hängenden Halteschlaufen für die 75 % Stehgäste? Wo kann sich mal ein Elternteil NEBEN das Kind  setzen, wenn es nur 1 Sitz pro Reihe links und rechts gibt? Und was passiert, wenn das Gepäck bei einer Notbremsung aus 160 km/h heraus durch die Mehrzweckabteile geschleudert wird?“

Da das Münchner S-Bahnnetz weit in das Umland hinausreicht, heißt das auch Reisen im Stehen für mehr als 40 Minuten! Zudem ist mit diesen Mega-Langzügen ein Stärken/Schwächen der Züge und ein Flügeln nicht möglich, denn 420 Meter lange S-Bahnsteige gibt es im Münchner S-Bahn-Netz nicht! Die BR 423 hat 192 Sitz und 352 Stehplätze in einer Zugeinheit. Als Langzug (3 Einheiten), der dann genauso lang ist wie die neuen S-Bahnzüge, gibt es aber 576 Sitzplätze und 956 Stehplätze, also 1.532 Plätze insgesamt. Somit werden die 300 zusätzlichen Plätze durch den Abbau von knapp 200 Sitzplätzen erreicht. Ob das die Fahrgäste goutieren werden?

Es wird in der PM viel über Barrierefreiheit und Mehrzweckabteile geredet, aber nirgend mitgeteilt, wieviel Fahrräder maximal in den neuen Zug passen. Auch werden die S-Bahnzüge ohne Klos sein, was bei den langen S-Bahnstrecken in München gerade für ältere Fahrgäste nicht ohne Probleme ist. Im Ruhrgebiet z.B. haben die S-Bahnen Klos.

Noch besser ist der Hinweis von Siemens, dass es für die Züge, die ab 2028 ausgeliefert werden sollen, eine Software-Garantie bis 2034 geben wird. Das kann man nur als reine Verarschung auffassen, denn üblicherweise lebt Rollmaterial bei Bahnen 30 Jahre. Aber wenn in den hoch digitalisierten Zügen es schon sechs Jahre nach Inbetriebnahme keine aktuelle Software mehr gibt, ist das nächste Software Update fällig, dass sich der Hersteller sicher teuer bezahlen lässt.

Und am Ende der Tage sind die Züge mit 22,5 Mio. Euro/Stück auch nicht gerade billig. Aber das ist Industrieförderung auf Bayrisch.

Schlimm nur die Presse, die das Jubelgeheul unkommentiert abdruckt und nicht einmal nachrechnet

Michael Jung – Prellbock-Altona e.V.

Über Michael Jung

Jahrgang 1950, Dipl.-Volksw., arbeitete zuerst in einem Großkonzern der Mineralölwirtschaft und dann 28 Jahre bei einer deutschen Großbank, davon 10 Jahre lang im Bereich Finanzierung von Eisenbahn- und Nahverkehrsprojekten weltweit. Seit 8 Jahren ist er Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock-Altona e.V., die sich für den Erhalt und Modernisierung des Fern- und Regionalbahnhofs Altona am jetzigen Standort einsetzt.

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Ein Kommentar zu “rail blog 144 / Michael Jung”

  1. Die neuen Züge sollen etwa 200 Meter lang sein, also so lang wie drei heutige Züge. Daher die dreifache Leistung, die dreifache Platzzahl…. Auf eine Anpassung an verschiedene Nachfrage wird verzichtet. Die 160 km/h sollen die Mitbenutzung von Fernstrecken leichter ermöglichen, da die Forderung nach Verlängerung der S-Bahn-Linien besteht. All das müsste abgewogen und in Bezug auf Kosten-Nutzen diskutiert werden.

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