rail blog 149 / Winfried Wolf

Greenwashing-Konversion

Wie sich die Weltautokrise, das Elektroauto und ein FDP-Autominister zusammenfügen

Es war ein Paukenschlag, als Ende November verkündet wurde, der neue Bundesverkehrsminister sei der FDP-Mann Volker Wissing. Wissing hatte sich in seiner gut 20jährigen Karriere als Politiker – zuletzt als FDP-Generalsekretär – nie in größerem Maß mit Verkehr beschäftigt. Als Hobby nennt der Mann „Weinbau – auch im familieneigenen Weingut“. Fachlich hatte er – im Gegensatz zum neuen FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner – viel mit Finanzen zu tun und war 2009 bis 2013 Vorsitzender des Finanzausschusses des Bundestags.

Dabei galt ein grüner Verkehrsminister als gesetzt – entweder Anton Hofreiter oder Cem Özdemir. Beide verfügen über viel Erfahrung im Bereich Verkehr. Damit stellen sich zwei Fragen: Ist da etwas falsch gelaufen? Ließen sich die Grünen etwas „wegverhandeln“? Antwort auf Frage Eins: Nein – das sollte genau so laufen. Antwort auf Frage Zwei: Da gab es nichts zu verhandeln; die Auto-Alpha-Männer Scholz und Lindner hatten sich vorab geeinigt. Das liest sich im „Spiegel“ wie folgt: „Die FDP hatte im Ringen um das Verkehrsressort einen mächtigen Verbündeten: Die SPD hatte aus industriepolitischen Gründen kein Interesse, […] den Grünen dieses Schlüsselressort zu überlassen.“1

Entsprechend sehen die Passagen zur Mobilität im Koalitionsvertrag aus: Vage wird von einer Priorität Schiene gesprochen; präzise heißt es dann: „Unser Ziel sind mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkw bis 2030.“ Zu den Themen Zufußgehen und Radfahren gibt es peinliche fünf Zeilen mit Nichtssagendem. Unmissverständlich ist die Absage an jede Art Tempolimit.

Ähnlich wie bei der rot-grünen Bundesregierung der Jahre 1998 bis 2005, als unter dem Autokanzler Gerhard Schröder mit „Biosprit“ ein Greenwashing des Autoverkehrs erfolgte, soll es unter einem Autokanzler Scholz ein Greenwashing mit Elektroautos geben. Der Verweis auf „industriepolitische Gründe“ im „Spiegel“-Zitat lässt sich übersetzen mit „Einflussnahme der Autolobby“.

Krise der Autoindustrie

In den Jahren 2018 bis 2021 erlebt die weltweite Autoindustrie eine Dreifach-Krise: Erstens: Die Glaubwürdigkeit der Branche war durch den Skandal mit manipulierten Motoren erschüttert. Zweitens: Im Klimanotstand und in der Krise der Städte steht das Auto als entscheidender Sünder da. Drittens: Der Pkw-Absatz ist seit 2017 massiv rückläufig.

Motorenmanipulation: Die im September 2015 als „Diesel-Skandal“ oder „VW-Skandal“ falsch bezeichnete Angelegenheit kostete VW bislang mehr als 30 Milliarden Euro Strafgelder. Motorenabgasmanipulation gibt es bei allen internationalen Auto-Konzernen. Und es gibt kein Ende in dieser Sache. Aktuell läuft eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, ausgehend von einem österreichischen Gericht, in Sachen „Thermofenster“, die dazu führen kann, dass Millionen betroffene Pkw stillgelegt oder auf Kosten der Autokonzerne nachgerüstet werden müssen.2

Klimasünder Auto: Das Auto wird immer mehr als Klima- und Umweltsünder und als stadtzerstörerisch identifiziert. Das wird meist auf die Emissionen reduziert. Lärm und Flächenfraß und die wachsende Zahl von Amok-Fahrten beziehungsweise Autorennen spielen jedoch auch eine beachtliche Rolle. Und wenn die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, im Sommer 2021 in der französischen Metropole flächendeckend Tempo 30 verordnete und dafür eine deutliche Mehrheit in der Bevölkerung findet, dann wird das in der Autobranche durchaus als Alarmzeichen registriert. Nach einer neuen Studie, verfasst von dem Berliner Verkehrsprofessor Christian Böttger, deckt der Autoverkehr nur ein gutes Drittel seiner Kosten. Er ist für die Gesellschaft ein teures Zuschussgeschäft.3

Weltautoproduktion: Und dann gibt es seit nunmehr vier Jahren in Folge einen Rückgang der Autoproduktion weltweit. 2017 wurden 73,4 Millionen Pkw – einschließlich Lkw und Bussen 97,3 Millionen Kraftfahrzeuge – hergestellt. 2021 waren es noch rund 55 Millionen Pkw und 77 Millionen Kfz. Das ist bei den Pkw ein Rückgang um ein Viertel. In Deutschland – das in Europa führende Autoland und zugleich der weltweit größte Autoexporteur – sieht es nochmals dramatischer aus. 2017 wurden 5,6 Millionen Pkw produziert; 2021 sind es 2,7 Millionen – ein Rückgang um 55 Prozent. Bei der Weltautofertigung liegt das Produktionsniveau nun auf dem Level von 2007. In Deutschland entspricht das 2021er Niveau demjenigen des westdeutschen im Jahr 1975.

Dieses Gesamtbild verdüstert sich noch bei einem Blick nach China, wo es erstmals seit Jahrzehnten Rückgänge im Autoverkauf gibt und wo das 2021er Niveau des Autoabsatzes unter dem von 2019 liegt. China ist nicht nur der größte Automarkt der Welt. Es gibt für die deutsche Autoindustrie auch laut Handelsblatt das „Klumpenrisiko China“: VW (als Marke) setzt inzwischen 49 Prozent aller seiner weltweit gebauten Autos in China ab. Bei der VW-Tochter Audi sind es 42,7 Prozent, bei Mercedes 37,9 Prozent und bei BMW 34,8 Prozent.4

Das VW-Stammwerk in Wolfsburg ist 2021 zu weniger als 50 Prozent ausgelastet. Die Jahreskapazität liegt bei einer Million Pkw; 2021 haben nur rund 450.000 Autos das Werk verlassen. Im Pandemiejahr 2020 wurde so gut wie geräuschlos die gewaltige Fusion von PSA und Fiat-Chrysler durchgezogen; ein Vorgang, der erheblich zur weiteren Deindustrialisierung Italiens beiträgt.

Indem in dem fusionierten, faktisch rein französischen Konzern die Marken Fiat, Chrysler, Opel, Peugeot, Citroen, Alfa Romeo und Lancia zusammengeschlossen sind – überwiegend Autos, die in direkter Konkurrenz zueinander stehen – dürfte es zu einer Kannibalisierung unter den bislang unabhängigen Marken, zu umfassenden Rationalisierungen, zu Fabrikschließungen und zu einem massenhaften Belegschaftsabbau kommen. Dies wird auch die Belegschaft bei Opel in Eisenach treffen. Der PSA-Chef Carlos Tavares – nunmehr Stellantis-Boss – ist Garant für eine Brutalo-Sanierung.

Zur Einordnung des weltweiten Umbruchs drei Anmerkungen: Es gibt einige Sonderfaktoren wie die Chip-Zulieferkrise, die die Branchenkrise konjunkturell verschärfen. Gleichzeitig setzt sich die Pandemie fort, was auch 2022 zu einem Absatzrückgang beitragen könnte.

Am Umsatz gemessen sind die Einbrüche, vor allem bei den deutschen Konzernen, nicht ganz so groß, da der Durchschnitts-Pkw – auch aufgrund der E-Pkw – sich deutlich verteuerte. Auch gibt es weiter bei fast allen internationalen Autokonzernen hohe Profite. Absatzrückgang muss nicht Verlust bedeuten; Belegschaftsabbau und hohe Profite passen nämlich gut zusammen. Der Weltautobestand wächst trotz des Produktionsrückgangs weiter von Jahr zu Jahr. Das trifft sogar auf Deutschland zu, wo wir selbst im Corona-Krisen-Jahr 2020 einen Zuwachs beim Pkw-Bestand von 600.000 Einheiten haben. In den vorausgegangenen Jahren war der Zuwachs deutlich höher, teilweise bei einer Million und mehr.

Rettung naht:Elektromobilität

In allen Krisenzeiten der Branche gab es Vergleichbares wie Greenwashing – auch wenn dieser Begriff jüngeren Datums ist. Mitte der 1970er Jahre, nach der „Ölkrise“ von 1973, war es der „Kat“, der das Auto umweltfreundlich machen sollte. In den 1990er Jahren hieß es, ein „Swatch Car“ (später der „Smart“) werde das Auto stadttauglich machen. In den Nuller Jahren erlebten wir den Hype um den Biosprit, mit dessen Hilfe dem Klimasünder Auto die Absolution erteilt werden würde.

Die Branche war ebenso erfindungsreich, wie die Öffentlichkeit sich gutgläubig gab. Das Ergebnis war immer dasselbe: Die Weltautoproduktion wurde aufs Neue gesteigert, die zerstörerischen Tendenzen dieser Mobilitätsform verallgemeinerten und vergrößerten sich.5

Und jetzt ist es das Elektroauto, das die Krise des Fahrzeugbaus beheben soll. Bis 2019 argumentierten alle großen Autohersteller, man werde Schritt für Schritt E-Pkw einführen, aber bis auf Weiteres an einem Mix von Verbrennern und E-Pkw festhalten. Mit den beiden Pandemie-Jahren – zugleich Jahre der vertieften Branchenkrise – hat sich das deutlich verändert. Jetzt wollen alle relevanten Autohersteller zu E-Pkw-Massenherstellern werden. Der VW-Boss Herbert Diess, der noch 2018 eine massenhafte E-Pkw-Motorisierung abgelehnt hatte, outet sich als Bewunderer des Tesla-Chefs Elon Musk. Diess will VW binnen weniger Jahre zum weltweit größten E-Pkw-Hersteller machen. Der Daimler-Chef Ola Källenius erklärt: „Die Zukunft des Autos wird elektrisch sein, daran gibt es gar keinen Zweifel.“6

Und so kam es in den vergangenen vier Jahren zu einem dramatischen Umbau der Weltautoproduktion mit den drei Komponenten: Rückgang der Produktion, drastischer Anstieg der Elektro-Auto-Fertigung und Aufstieg von Tesla vom Nischenhersteller zum Pkw-Massenproduzenten. Die Tabelle auf der nächsten Seite oben illustriert diesen Vorgang.

Zwar liegt auch 2021 der Anteil von reinen E-Pkw an der gesamten weltweiten Pkw-Fertigung mit 7,6 Prozent eher niedrig. Die Dynamik ist jedoch deutlich. Und da die Steuergelder für Elektromobilität sprudeln, wird die Konversion beschleunigt. Wenn es im zitierten Koalitionsvertrag heißt, man strebe 15 Millionen Batterie-Pkw bis 2030 an, dann müssten selbst im Fall einer auf 4500 Euro halbierten staatlichen Prämie beim Kauf eines E-Pkw rund 65 Milliarden Euro eingesetzt werden. Wobei die Kosten für die Ladeinfrastruktur und neue Kraftwerke und Überlandleitungen hinzukommen. Von solchen Summen staatlicher Förderung kann die Ökostrom-Branche nur träumen.

Tesla als Rammbock

Alle Autokonzerne nutzen in Zukunft Tesla als Rammbock, um die gesamte Autoindustrie neu zu strukturieren, die Belegschaften massiv zu reduzieren und die Profite zu steigern. Beispiel VW: Neben dem Stammwerk in Wolfsburg zieht der Konzern auf der grünen Wiese ein neues Werk mit der Bezeichnung „Trinity“ für eine Nur-Elektro-Pkw-Produktion hoch. Nach Aussage des VW-Markenchefs Ralf Brandstätter soll dieses Werk „binnen fünf Jahren zum Leuchtturm für modernste und effizienteste Fahrzeugproduktion“ werden.7

Vorbild ist die Tesla-Fabrik in Grünheide. Die Fertigungszeit je Auto soll dann auf zehn Stunden sinken – im E-Auto-VW-Werk in Zwickau sind es aktuell dreimal so viel. Alles spricht dafür, dass VW im Zusammenhang mit dem neuen Werk auch die Arbeitsstandards senken, die Arbeit verdichten und Sozialabbau betreiben wird. Voraussichtlich wird auch ein neues Unternehmen gegründet, um die Sozialabbau-Ziele formell abzusichern.

Dient die soziale Schweinerei einem höheren Ziel, dem Klimaschutz? Mitnichten. Elektromobilität wird den Autowahn steigern – auch die das Klima belastenden Emissionen. Elektroautos gibt es, seit es Autos gibt, also seit mehr als 120 Jahren. Die strukturellen Nachteile von E-Pkw waren im Jahr 1900 dieselben wie 2021: Diese haben im Vergleich zu Verbrennern deutlich mehr Gewicht, deutlich weniger Reichweite und benötigen deutlich mehr Zeit fürs „Tanken“. Hinzu kommen die klassischen Nachteile, die für sämtliche Autos, gleichgültig, welchen Antriebsstrang sie haben, gelten: Im Vergleich zum nichtmotorisierten Verkehr und zum öffentlichen Verkehr gibt es beim Pkw-Verkehr den viermal größeren Flächenverbrauch, mehr als zehn Mal so viele Verkehrstote und bei hoher Pkw-Dichte im Stadtverkehr eine Geschwindigkeit, die der eines Fahrradfahrers entspricht. Eine große E-Pkw-Flotte hat im Vergleich zu einer Flotte mit Verbrenner-Pkw auch keine geringe ren CO2-Emissionen. Das diesen Autos aufgeklebte Zero-Emission-Vehicle-Etikett ist purer Schwindel.8

Gefragt, ob die neue Ampel-Regierung gegenüber China auf Partnerschaft oder auf Konfrontation setze, gab die neue Außenministerin Annalena Baerbock eine Antwort, die auch die Frage nach dem „Warum Elektromobilität?“ beantwortet: „Um globale Probleme zu lösen, müssen wir miteinander kooperieren. Etwas bei […] der Bekämpfung der Corona-Pandemie […] In anderen Bereichen sind wir Wettbewerber, gerade wenn es um die Frage von zukünftigen Technologieführerschaften geht. Als […] Teil eines transatlantischen demokratischen Bündnisses stehen wir in einem Systemwettbewerb mit einem autoritär geführten Regime wie China. Diesbezüglich gilt es, […] unsere […] Interessen zu verteidigen.“9

Von Winfried Wolf erschien zuletzt: Tempowahn – Vom Fetisch der Geschwindigkeit zur Notwendigkeit der Entschleunigung, Wien 2021, Promedia.

Anmerkungen:

1 Spiegel 48/2021 vom 27.11.2021. Hervorgehoben von mir.

2 Marcus Jung und Tobias Piller, Gutachter: VW-Thermofenster ist rechtswidrig, in: FAZ vom 23.9.2021. Es geht um die „temperaturabhängige Abgasrückführung in Dieselmotoren“, die dazu führt, dass die zugesagte Abgasreduktion nur bei Temperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius und nur bis zu einer Höhe von 1000 Metern funktioniert – ansonsten gibt es massiv höhere Abgas-Emissionen.

3 Hier nach: Thiemo Heeg, Straßen sind ein Zuschussgeschäft, in: FAZ vom 20.9.2021.

4 Klumpenrisiko China, in: Handelsblatt vom 1.10.2021.

5 Ausführlich siehe: Winfried Wolf, Mit dem Elektroauto in die Sackgasse, Wien, 3. Auflage 2020, Seite 41ff.

6 Interview in Bild am Sonntag vom 28.11.2021.

7 Tagesschau vom 10. November 2021.

8 Die maximale CO2-Reduktion, die mit einem E-Pkw über den Lebenszyklus hinweg im Vergleich zu einem gleich großen Verbrenner-Pkw erreicht wird, wird vom Umweltbundesamt mit 40 Prozent angegeben. Möglicherweise sind es im Jahr 2030 50 Prozent. Berücksichtigt man, dass bis zu 50 Prozent der E-Pkw Zweitwagen sind, dass auch 2030 der Strom zu einem erheblichen Teil aus fossilen Quellen kommt, dass die Herstellung der Batteriezellen mit einem enormen Ressourcenverbrauch (und Energieeinsatz) verbunden ist, dass bei der Entsorgung und bei der Bereitstellung der Ladeinfrastruktur erneut Energie eingesetzt werden muss, dann bleibt von der CO2-Reduktion nichts übrig. Bedenkt man schließlich, dass die aktuelle Verbrenner-Flotte rund 7,5 Liter auf 100 Kilometer verbraucht, dass es jedoch vor 20 Jahren Pkw-Modelle mit einem Spritverbrauch von 3 Litern gab (VW Lupo, VW Fox), dann schrumpft die gesamte E-Pkw-Saga zur Schmierenkomödie zusammen.

9 Interview, geführt von Jasmin Kalarickal, Felix Lee und Tobias Schulze, in: Taz vom 2.12.2021.

Dieser Beitrag ist im Printheft Nr. 56 von Lunapark21 erschienen.

Über Winfried Wolf

Winfried Wolf war Chefredakteur von Lunapark21. Er veröffentlichte zum Thema Verkehr seit 1986 („Eisenbahn und Autowahn“); zuletzt: „Abgefahren! Warum wir eine neue Bahnpolitik brauchen“ (zusammen mit Bernhard Knierim; Köln 2019)..

Zeige alle Beiträge von Winfried Wolf →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert