rail blog 170 / Joachim Holstein

Mit einem Nachtzug nach Paris, nur für einen Tag

Im Blog #136 dokumentierte ich unter dem Titel »We will always have Paris« meine Redebeiträge bei der Verabschiedung des bis jetzt letzten Zuges aus Hamburg (und Berlin) nach Paris und zurück im Dezember 2014.

Am 5. September haben die Österreichischen Bundesbahnen mitgeteilt: ab dem 11. Dezember 2023 wird es wieder einen Nachtzug zwischen Berlin und Paris geben! Und nicht nur das, sondern es wird auch Brüssel angesteuert. Die ÖBB schreiben über die »Nightjet-Verbindungen von Berlin und Wien nach Paris und Brüssel«:

Diese Verbindungen werden anfangs dreimal die Woche, ab Herbst 2024 dann täglich gefahren.

Das bedeutet: Es steht zunächst nur eine Zuggarnitur zur Verfügung, die montags, mittwochs und freitags in Berlin startet und nach einer Fahrt via Halle und Erfurt in Mannheim auf die bestehende Linie aus Wien nach Paris und Brüssel trifft. Dort werden die Kursgruppen getauscht, sodass Wien-Strasbourg-Paris, Wien-Köln-Brüssel, Berlin- Strasbourg-Paris und Berlin-Köln-Brüssel angeboten werden. Jeweils dienstags, donnerstags und samstags geht es von Paris und Brüssel aus zurück.

Sobald mehr neue Fahrzeuge geliefert werden, wird der Zug täglich fahren, und dann sind für alle, die ihre Arbeitswoche in Brüssel haben, perfekte Bedingungen gegeben: Montagmorgen da, Freitagabend zurück. Und wer ein Wochenende in Paris verbringen möchte, hat dann von Samstagmorgen um halb elf bis am Sonntagabend gegen sieben Zeit – oder um jeweils 24 Stunden länger.

So ist es sinnvoll, so wünscht man sich das – und es ist zu fragen, warum die Deutsche Bahn und ihr Eigentümer nicht schon längst diese Verbindung wiederhergestellt haben, die 2014 trotz großer Nachfrage einfach gekappt wurde. Vor fast vier Jahren, im November 2019, starteten vier Europaabgeordnete – Hannah Neumann (Grüne), Gabriele Bischoff (SPD), Martina Michels (Linke) und Hildegard Bentele (CDU) – eine Petition zur Wiedereinführung des »EU-Shuttle-Zuges« Berlin-Brüssel, die in kurzer Zeit rund 33.000 Unterschriften zusammenbekam, aber bei DB und Bundesregierung auf Ignoranz stieß:

https://www.change.org/p/bundeskanzlerin-angela-merkel-klimafreundlich-europa-stärken-mit-nachtzügen-vermeidbare-emissionen-einsparen-2/u/25606777

Leider haben wir bisher auf unseren Brief noch keine Antworten erhalten. Auch die Deutsche Bahn äußerte sich nicht zum konkreten Fall, sprach sich aber erst kürzlich generell gegen die Wiedereinführung eigener Nachtzüge aus – ein deutliches und wie wir finden falsches Zeichen.

Wir werden weiter mit vielen anderen Akteuren für den Ausbau des europäischen und auch deutschen Nachtzugnetzes kämpfen. Für unser konkretes Anliegen, der Verbindung zwischen Berlin und Brüssel anlässlich der Ratspräsidentschaft Deutschlands, müssen wir nun aber andere Anbieter in Betracht ziehen. Eine Option wäre die ÖBB, die Zug und Strecke für die Zeit der Ratspräsidentschaft anmieten könnte.

Daraus wurde nichts; der CSU-Verkehrsminister Scheuer widmete sich lieber der »Ausländer-Maut« und irgendwelchen Potemkinschen Dörfern bzw. Zügen, die nach einer Pressekonferenz wieder in sich zusammenfielen.

Erst jetzt, Ende 2023, wird es also endlich wieder Berlin-Paris über Nacht geben.

Man muss sich das mal klarmachen: die Staatsbahn Österreichs (9 Millionen Einwohner) gewährleistet die einzige Direktverbindung zwischen den Hauptstädten der beiden größten Länder der EU mit zusammen 150 Millionen Einwohnern! Die SNCF konzentriert sich auf den Wiederaufbau nationaler Verbindungen (vor allem von Paris in Richtung spanischer Grenze und an die Riviera, was durchaus zu loben ist), und die Deutsche Bahn …?

Die Deutsche Bahn ist Teil einer europäischen Nachtzug-Allianz. Im Wettbewerb der Bahn mit Auto und Flieger braucht es Teamplay statt Einzelkämpfer. Und es braucht Spezialisten, zum Beispiel wie die ÖBB für das Wagenmaterial. Wir stellen Lokführer:innen und Loks, Zugbegleiter:innen, organisieren die Trassen-, Stations- und Energienutzung und spielen im Vertrieb eine entscheidende Rolle. Rund 6.500 Züge mit Schlaf- und Liegewagen sind im Jahr 2022 mit unserer Hilfe durch Deutschland gefahren. Investitionen in Fahrzeugmaterial (Schlaf- und Liegewagen) erfolgen im Rahmen der Kooperation durch die ÖBB.

Das ist die offizielle Antwort der Pressestelle auf meine Anfrage

In welchem Umfang (Anzahl der Fahrzeuge, Volumen in Euro) beabsichtigt die DB in den nächsten Jahren in neues Rollmaterial für Nachtzüge zu investieren, damit nicht die ÖBB bzw. der Staat Österreich alleine für die rollende Infrastruktur zur Verdoppelung der Fahrgastzahlen im Nightjet-Verkehr bis 2030 aufkommen muss?

Die Deutsche Bahn sagt also: »Tu felix Austria, bezahl gefälligst die Schlaf- und Liegewagen, wir kassieren die Trassen- und Stationsgebühren.«

Ist das »Kooperation«?

Um eines klarzustellen: Ich bin so ungefähr der Letzte, der die Deutsche Bahn in ihrer gegenwärtigen Verfassung mit dem operativen Betrieb der Nachtzüge betrauen möchte. Ich schreibe »so ungefähr«, weil viele meiner damaligen Kolleginnen und Kollegen bei der DB European Railservice mindestens ebenso vehement wie ich aus der Feindschaft des DB-Managements gegenüber den Nachtzügen – und ihrer nach Millionen zählenden Kundschaft! – den Schluss gezogen hatten: Diesen Leuten darf man nie wieder einen Nachtzug anvertrauen.

Aber Deutschland muss endlich investieren! Das größte Problem der Nachtzüge ist derzeit und in den nächsten Jahren der riesige Mangel an Schlaf- und Liegewagen. Und den kann – und soll – Österreich nicht alleine beheben. Warum kommt keine Ansage aus Berlin, dass Deutschland die nächsten 30, 40, 50 »Nightjet«-Garnituren bestellt und bezahlt? Damit endlich wieder alle Reisenden, die nachts von Berlin nach München, von Hamburg nach Stuttgart, von Saarbrücken nach Dresden, von Dortmund nach Innsbruck oder auch von Hamburg nach Mailand, von Malmö nach Brüssel oder von Frankfurt nach Barcelona fahren möchten, dies endlich tun können! Das wäre Elektromobilität pur! Und zwar umweltfreundlich, ohne Lithiumbatterien und ohne zusätzlichen Straßenbau.

Über Joachim Holstein

(*1960) arbeitete von 1996 bis 2017 als Steward in Nacht- und Autozügen der DB, war von 2006 bis zur Einstellung dieser Verkehre Betriebsrat der DB European Railservice GmbH und zuletzt Sprecher des Wirtschaftsausschusses. Mitbegründer der Initiative zur Rettung des Nachtzuges Hamburg-Paris (2008; »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«) und des europäischen Netzwerks für Nachtzüge »Back on Track« (2015; https://back-on-track.eu/de/); Weiteres unter www.nachtzug-bleibt.eu

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