rail blog 178 / Michael Jung

Ein Fortschritt, der ein Rückschritt ist

Zur Neugestaltung des Internetauftritts der Deutschen Bahn zum Fahrkartenkauf

„Wir werden digital“ prangt es seit einigen Wochen jedem entgegen, der ein Reisezentrum der DB betritt. Damit verbunden ist, dass kaum noch ein anonymer Fahrkartenerwerb möglich ist. Wer eine Bahncard hat, hat eh schon seine persönlichen Daten bei der DB abgeliefert. Aber immer häufiger fragt das Verkaufspersonal in den DB Reisezentren die Kunden nach einer Mail-Adresse. Begründet wird dies damit, dass die DB sie im Falle von Betriebsstörungen / Verspätungen erreichen könne.

Im gleichen Aufwasch wurde die Webseite der DB, auf der man Fahrkarten erwerben kann, neugestaltet. Die Neugestaltung ist ein massiver Rückschritt. Bisher war alles in einer einigermaßen großen Schrift dargestellt, und es gab die üblichen Abfragen in logischer Reihenfolge. Also Ausgangs- und Zielbahnhof, Datum und Uhrzeit der Reise, Art der Zugverbindung und ob man Bahncard-Inhaber ist, teilweise wurde auch nach dem Alter gefragt.

Beim Neuauftritt wurde die Schrift aus unerklärlichen Gründen massiv verkleinert, sodass sie für ältere Menschen oder Menschen mit Sehbehinderungen kaum noch lesbar ist. Die Datumseingabe ist unübersichtlicher geworden, aber das Trickreichste ist, dass man fünfmal zusätzlich klicken muss, um eingeben zu können, dass man zum Beispiel Besitzer ein Bahncard 50 ist. Allein das Finden des Icons für Ermäßigungen ist eine spezielle Übung: Unter der Rubrik Reisende, Fahrräder muss man zuerst klicken, dann wird nach dem Alter gefragt, dann nach der Zahl der Reisenden, und am Rande findet man dann ein kleines Häkchen, auf das man klicken muss, um die Liste der Bahncards zu erreichen, auf der man dann auswählen muss. Durch Anklicken von „Übernehmen“ wird das dem Bestellvorgang hinzugefügt. Hintergedanke der DB ist, dass eilige Bucher sofort die Sparpreise sehen und dabei übersehen, dass es mit den Bahncards (die die Bahn eigentlich gar nicht mehr will, man erinnere sich an den Versuch der DB vor einigen Jahren, die BC 50 abzuschaffen) auch noch einen Rabatt auf die Sparpreise erhält. Erst wenn man durch diese ganzen Klickübungen hindurch ist, bekommt man den Fahrpreis angezeigt und kann den Kaufvorgang durch das Einloggen in das Kundenkonto abschließen.

Die Neugestaltung der Webseite erfolgte wohl unter der Maßgabe, dass man künftig alle Angebote der DB auf dieser Seite buchen kann, bisher war das für Fahrradkarten so einfach nicht möglich. Und für Auslandsverbindungen ist das in vielen Fällen heute noch immer nicht möglich.  Spaßig wird es dann, wenn man sich unter der Kategorie „Weitere Reisendentypen“ durchklickt und dann auf die Fahrkarte für Hunde kommt! Aber dadurch ist die Website völlig unübersichtlich geworden und allein schon durch die gewählte winzige Schrifttype ist sie nicht barrierefrei. Ein absoluter Rückschritt, verbunden mit dem Hintergedanken, den Kunden, besonders den nur gelegentlich Bahnfahrenden, die die Preise und Tricksereien der DB nicht kennen, teurere Tickets unterzujubeln. Unerklärlich bleibt auch, warum man nicht einfach eine bestimmte Auswahl anklicken kann, sondern diese in einem nächsten Schritt immer mit „Übernehmen“ bestätigen muss. Fazit: Für den Kauf einer Fahrkarte nach dem Relaunch der Webseite braucht man doppelt so viele Klicks wie zuvor!

Sollte stimmen, was in manchen Kreisen kolportiert wurde, dass die DB den in immer mehr Einzelhandelsbranchen üblichen Trick nutzt, Verbrauchern, die teure Smartphones haben, auf diesen auch teurere Preise als beim direkten Kauf im Internet am PC anzuzeigen, dann wäre das ein weiterer Skandal. Aber zuzutrauen ist den „Digitalexperten“ bei der DB leider alles.

Über Michael Jung

Jahrgang 1950, Dipl.-Volksw., arbeitete zuerst in einem Großkonzern der Mineralölwirtschaft und dann 28 Jahre bei einer deutschen Großbank, davon 10 Jahre lang im Bereich Finanzierung von Eisenbahn- und Nahverkehrsprojekten weltweit. Seit 8 Jahren ist er Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock-Altona e.V., die sich für den Erhalt und Modernisierung des Fern- und Regionalbahnhofs Altona am jetzigen Standort einsetzt.

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