rail blog 182 / Joachim Holstein

»Schneller auf die Piste« mit dem Flugzeug? Aua!

Neulich schaffte es mal wieder eine Werbebotschaft der Flugindustrie in den redaktionellen Teil des kleinen Hamburger Boulevardblattes:

Skifans kommen künftig schneller auf die Piste

Die Lufthansa-Tochter AUA (Austrian Airlines) bewirbt damit ihren neuen Direktflug von Hamburg nach Klagenfurt, den es Anfang 2024 an acht Samstagen geben wird. Dass die Verbindung zwei Wochen vor Beginn der Hamburger Frühjahrsferien wieder eingestellt wird, wirkt auf den ersten Blick befremdlich, aber der zweite Blick fällt dann auf den Hinweis der Mopo auf einen anderen Artikel, der mitten im Jubeltext platziert wurde:

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Im verlinkten Artikel bricht dann die Realität herein:

Verschneite Berge, Pulverschnee-Pisten und prickelnd kalte Luft: So stellt man sich den Ski-Urlaub vor. Aber die Realität sieht ja schon heute meistens anders aus. Und in Zukunft werden Schneekanonen und grüne Wipfel in Europas Ski-Regionen Standard sein. Wenn die Lifte überhaupt noch laufen: Eine neue Studie verspricht nichts Gutes für die Wintersportregionen. 

Bei einer globalen Erwärmung von zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau wird es bei etwa der Hälfte der Skigebiete in 28 europäischen Ländern ein sehr hohes Risiko für Schneemangel geben, prognostiziert das Expertenteam im Fachjournal „Nature Climate Change“.

Und so wirbt der Hamburger Flughafen für noch mehr klimaschädliche Flüge:

„Mit Klagenfurt setzt Austrian Airlines auf ein Ziel, das derzeit nicht nonstop ab der Hansestadt erreichbar ist und besonders im Winter viel Potenzial zu bieten hat“, sagt Dirk Behrens, Leiter Aviation am Hamburg Airport.

Ich grüble noch über das »besonders im Winter«, denn Klagenfurt liegt auf nur 446 Metern Meereshöhe am Ostufer des Wörthersees, ist also eher für Wasserski als für Abfahrtski tauglich, aber man kann sich natürlich vom Klagenfurter Flugplatz aus zum Bahnhof begeben, um ein Stück zurück Richtung Hamburg zu fahren: In den Hohen Tauern liegt vielleicht noch Schnee.

Moment – mit der Bahn? War da nicht was? Richtig: Viele Jahrzehnte lang war Klagenfurt per Direktzug von Hamburg aus zu erreichen, viele Jahre lang täglich, zum Schluss wöchentlich – pünktlich zum Bettenwechsel am Samstag. Und das nicht nur direkt ab Hamburg, sondern auch ab Lüneburg, Uelzen, Celle, Hannover, Göttingen, Dortmund, Bochum, Essen, Duisburg, Düsseldorf und Köln.

Man konnte direkt in den Alpen aussteigen: in Bischofshofen, St. Johann im Pongau, Schwarzach-St. Veit und an sämtlichen Bahnhöfen des Gasteiner Tals auf der Nordseite sowie in Mallnitz-Obervellach und Spittal an der Drau auf der Südseite des Alpenhauptkamms, ehe man Villach und Klagenfurt erreichte. In Bischofshofen stiegen viele Reisende Richtung Schladming um, in Schwarzach gab es Anschluss nach Zell am See. Zwischen 7 und 9 Uhr morgens kam man an diesen Bahnhöfen an, von denen es nur noch ein Katzensprung zur Skipiste oder zur Seilbahn war, abends zwischen 19 und 21 Uhr ging es wieder zurück. Wochenurlauber hatten also an den beiden Samstagen ziemlich viel Zeit für Ski und Rodel, Jagertee und Almdudler.

Und der neue Flieger? Der kommt um 15:15 Uhr in Klagenfurt an, dann erreicht man mit Glück den Zug um 16:42 Uhr und ist um 18:03 Uhr in Mallnitz – mehr als 9 Stunden später als einst mit dem Zug. In der Gegenrichtung hebt der Flieger schon um 11:10 Uhr ab, was in der Praxis heißen dürfte: 6:50 Uhr ab, mit Regionalzügen einmal umsteigen, damit man um 8:22 Uhr in Klagenfurt Hbf ankommt und es noch rechtzeitig zum Einchecken schafft.

Da sind nicht nur die beiden Samstage im Eimer, sondern auch der Freitagabend.

Ich weiß nicht, wie häufig es solche Flüge schon früher gab, aber unsere Züge – die von Mitte Dezember bis Mitte/Ende Oktober an jedem Wochenende fuhren, waren eigentlich immer voll. Schließlich war es superbequem, am Freitag nach Feierabend oder nach dem Abendessen zum Bahnhof zu kommen, sich ins Liege- oder Schlafwagenabteil zu begeben, sich und sein Gepäck auszubreiten, vielleicht auch noch was zu essen und zu trinken – und am Samstagmorgen mitten im Schnee aufzuwachen und auszusteigen. Und der Samstag der Rückreise stand bis Sonnenuntergang noch fürs Skifahren zur Verfügung – im RailBlog #94 schrieb ich schon darüber, dass man damals 7 Nächte und 8 Tage hatte, während die Flugreisenden bei 7 Nächten nur 6 Tage auf der Piste haben.

Und dann habe ich mal nach dem Preis geschaut, habe eine Woche Ende Januar herausgegriffen, 23 kg aufgegebenes Gepäck plus 8 kg Handgepäck – dafür werden satte 313,49 Euro aufgerufen.

Für den Preis bekommt man bei den ÖBB eine Einzelkabine im Schlafwagen hin und zurück mit Begrüßungsgetränk und Frühstück, Plätze im Liegewagen kosten ungefähr die Hälfte, wenn man früh bucht. Und beim UrlaubsExpress zahlt man in einem Vierer-Liegewagenabteil Ende Januar rund 250 Euro pro Nase. Alles billiger, besser und bequemer als per Flieger. Und daher müsste das Eingangszitat eigentlich lauten:

Skifans kamen und kommen mit dem Nachtzug schneller und besser auf die Piste

Über Joachim Holstein

(*1960) arbeitete von 1996 bis 2017 als Steward in Nacht- und Autozügen der DB, war von 2006 bis zur Einstellung dieser Verkehre Betriebsrat der DB European Railservice GmbH und zuletzt Sprecher des Wirtschaftsausschusses. Mitbegründer der Initiative zur Rettung des Nachtzuges Hamburg-Paris (2008; »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«) und des europäischen Netzwerks für Nachtzüge »Back on Track« (2015; https://back-on-track.eu/de/); Weiteres unter www.nachtzug-bleibt.eu

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