4. Gründe für »dusselige« Großprojekte

Teil 4 des sechsteiligen Beitrags zu Großprojekten der DB. Hier geht es zu Teil 1 und Teil 2 und Teil 3

Der BUND hatte sich 2013 für seine Attacke auf die gigantischen Fehlplanungen des Bundesverkehrswegeplans 2003 zwölf unsinnige Großprojekte, das so genannte »dusselige Dutzend«, herausgesucht und ihre Details akribisch kritisiert. Danach lassen sich einige typische Mechanismen für das Entstehen solcher Großprojekte ausmachen:

1.      Rekordsucht der Techniker und Politiker

Techniker, Sportler, Architekten und Politiker neigen allesamt zur Rekordsucht. Höher, schneller, weiter ist die Devise. Wer das höchste Hochhaus baut oder die längste Brücke oder das schnellste Flugzeug oder den schnellsten Zug oder das schnellste Auto, ist der Star. Wer als Sportler den Weltrekord über eine bestimmte Distanz oder Höhe oder Weite bricht, möglichst noch verbunden mit einer magischen Zahl wie 10,0 im Hundertmeterlauf, 8 m im Weitsprung, 2 m im Hochsprung oder 6 m im Stabhochsprung, ist top. Und in der Politik gilt als »toller Kerl«, wer es schafft, das milliardenschwerste Großprojekt »an Land zu ziehen«. Das ist wie beim Angeln, wo es auch so etwas wie die Konkurrenz um den besten Fang, die größte Trophäe gibt. Diese Art von rekordsüchtiger Konkurrenz hat wenig mit der Bewältigung von Alltagsproblemen zu tun, für die Politiker, Unternehmer und Techniker eigentlich vor allem da sind, um das Los vieler Menschen zu verbessern und sinnvolle Märkte zu bedienen.

Ganz im Sinne der Rekordsucht haben bei der Bahnpolitik die Ministerpräsidenten mit ihrem pharaonenhaften Wettbewerb um Großprojekte eine unheilvolle Rolle gespielt. Angefangen hatte alles mit der Steilvorlage der Bahningenieure für Deutschlands Hochgeschwindigkeitsnetze, die so genannte »Hochleistungs-Schnellbahn-Studie« (HSB), die seit den 70er Jahren für die damals noch sehr schmale, nord-süd-gestreckte alte Bundesrepublik ein neues Netz in Form einer Acht vorsah, die alle Metropolen auf kurzem und schnellem Wege miteinander verbinden sollte. Es folgte das Konzept für den ICE mit seinen ersten Anwendungsstrecken Hannover – Würzburg und Mannheim – Stuttgart. Das HSB-Konzept war geboren aus dem »spätpubertären« Wettbewerb deutscher Bahntechniker mit den japanischen und französischen Bahningenieuren um den Bahn-Geschwindigkeits-Weltrekord. Der japanische Shinkansen und der französische TGV lagen nach der Entwicklungsreife, Anwendung und Tempo weit vorn. Diesen »Vorsprung« galt es in nationalistischer Kirchturmpolitik aufzuholen, da waren sich alle Verkehrsminister und Bahnvorstände einig. Darum dann auch die Doppelstrategie mit Transrapid und ICE.

2.      Ignoranz gegenüber dem Verkehrsmarkt und der Siedlungsstruktur

Dass eine solche Spielwiese mit Geschwindigkeiten jenseits der 300 km/h wesentliche Gesetzmäßigkeiten der Mobilität und siedlungsstrukturellen Realität Deutschlands ignorierte, dass sie wegen der exponentiellen Kostensteigerungen für Fahrweg und Fahrzeug direkt ins Milliardengrab führen würde, durfte nicht gesehen werden. Im Mobilitätsalltag dominieren die kurzen und mittleren Entfernungen. Fernmobilität über mehr als 300 km Distanz ist auch im Zeitalter Europas in Deutschland wie in ganz Europa die große Ausnahme. Und in einem Land mit einer sehr dezentralen, polyzentrischen Siedlungsstruktur ist es primäre Aufgabe der Fernbahn, die etwa 1.000 Groß- und Mittelstädte Deutschlands untereinander zu verbinden, logischerweise nicht mit einem kleinen Kernnetz, sondern mit einem weit verzweigten Netz vieler eng verknüpfter Hauptstrecken.

Hochgeschwindigkeit lohnt sich wegen des exponentiellen Anstiegs der Kosten für Bau und Betrieb nur, wenn auf dem entsprechenden Markt große Passagiervolumina abgefahren werden. Deshalb werden viele Fahrgäste der Bahn durch deren Auskunftssystem und Zugfrequenzen auf die Schnellfahrkorridore gezwungen, die parallelen Bahnstrecken werden künstlich »ausgehungert«. So geschah und geschieht es im Rheintal und auf der Achse Hagen-Frankfurt.

Die Fragwürdigkeit der Hochgeschwindigkeitsphilosophie lässt sich durch gedankliches Übertragen auf den Autoverkehr verdeutlichen. Es macht wenig Sinn, mit Ferraris und Porsches die Mobilitätsprobleme des Alltags lösen zu wollen. Darum werden diese »Boliden« auch nur in sehr begrenzter Stückzahl hergestellt. Sie sind sehr teuer, weil ihre überzüchtete Konstruktion viel Geld kostet und weil auch ihr exklusives Image im Preis abgebildet wird. Sie können auf den überwiegend mit gutem Grund geschwindigkeitsbegrenzten Straßennetzen Europas ihre Power ohnehin kaum ausfahren. Es geht bei ihrer Herstellung also um den – allerdings für kleine Firmen durchaus profitablen – Verkauf einer Illusion. Und es gibt für sie auch keine »Spezialhochgeschwindigkeitsstraßen«, sondern sie müssen sich den Verkehrsraum mit allen anderen Fahrzeugen teilen. Für eine große Firma und einen Massenmarkt, was beides für das Bahngeschäft typisch ist, ist die Strategie von Porsche und Ferrari kaum sinnvoll. Und für den Straßenbau schon gleich gar nicht.

3.      Wettbewerb gegen Shinkansen (Japan) und TGV (Frankreich)

Dass die Japaner trotzdem mit ihrem Shinkansen als erstem Hochgeschwindigkeitszug der Welt Erfolg haben, liegt an dem speziellen Verkehrsmarkt der Insel(n) mit einer weitgehend linearen Raum- und Siedlungsstruktur. In Japan kann man mit einem einzigen Bahnkorridor fast den gesamten Markt der mittleren und großen Distanzen abgreifen. Außerhalb dieses Korridors verfolgen die Japaner durchaus konventionelle Flächenbahnstrategien mit vielen Regional- und Straßenbahnnetzen, bei denen eher nach Schweizer Vorbildern in dichte Netze mit hoher Systemqualität investiert wird. Und die Franzosen können sich ihr TGV-Engagement auch sehr viel leichter leisten, weil sie nach wie vor geographisch ein monozentrisches Land sind, das bei weitem nicht so viele Groß- und Mittelstädte und Verdichtungsräume hat wie Deutschland. Frankreichs Fernverkehr lässt sich besser mit wenigen schnellen Korridoren bedienen. Dass im Übrigen aber die französische Strategie trotz großer Umsätze und Fahrgastzahlen beim TGV auf den Korridoren insgesamt verkehrlich nicht sehr erfolgreich ist, belegt der sehr viel schlechtere Modal Split mit einer viel kleineren Bahnreisehäufigkeit als in der Schweiz. Frankreich bräuchte eben neben seinem TGV-Netz noch ein dichtes konventionelles Flächenbahnnetz. Und das hat es ebenso wie Deutschland in den letzten 50 Jahren systematisch durch die Konzentration seiner Bahninvestitionen auf den TGV kannibalisiert, mit massenhaften Stilllegungen. Für das polyzentrische, regional sehr ausbalancierte Deutschland taugt weder die japanische noch die französische Strategie, um Verkehrsprobleme zu lösen und die Bahn wieder zur Nr. 1 zu machen. Hier helfen nur flächenwirksame Netzstrategien nach Schweizer Vorbild. Doch dagegen stehen die typischen Fehlorientierungen auf Großprojekte und Milliardengräber.

A.     Der Transrapid

Exemplarisch für diese Fehlorientierung ist die Geschichte des Transrapid. Am Anfang stand der Wunsch nach Technologieförderung. Mit über einer Milliarde Forschungsgeld wurde die technische Entwicklung forciert. Dann wurde die Teststrecke im Emsland gebaut. Es folgte ein massives politisches Lobbying, das Tausende von Mandatsträgern und Journalisten für High Speed à la Transrapid begeistern sollte. Das Herstellerkonsortium für die Fahrzeuge und den Fahrweg forcierte den öffentlichen Druck hinsichtlich einer notwendigen deutschen Referenzstrecke. All das dauerte 15 Jahre und lenkte in dieser Zeit von einer seriösen politischen Diskussion der deutschen Bahnzukunft ab, trotz der zwischenzeitlich auf den Weg gebrachten Bahnreform. Die Suche nach einer geeigneten Referenzstrecke führte zu fünf Aspiranten, jeweils massiv von den Ministerpräsidenten und Landesverkehrsministern unterstützt. Berlin – Hamburg war das zunächst favorisierte Hauptprojekt; als es scheiterte, folgten das Ruhrgebiet, München und Rhein-Main mit den mehr nahverkehrsähnlichen Referenzstrecken Düsseldorf – Dortmund, München – Flughafen und Frankfurt – Hahn sowie eine vor allem von der regionalen Wirtschaft Norddeutschlands forcierte Strecke von Norddeutschland in die Niederlande. Über den Sinn der Technik und ihre Angemessenheit auf dem deutschen Verkehrsmarkt wurde kaum noch diskutiert. Parteiübergreifend gab es großen Druck auf die Bahn, beim Transrapid einzusteigen, obwohl es ganz offenkundig primär um Industrie- und Bauwirtschaftsförderung ging. Die Lobby operierte zunächst mit beachtlichem Erfolg, was das politische Interesse und die Zahlungsbereitschaft des Bundes anging. Der »Sex Appeal« von High Speed und futuristischem Fahrzeugdesign zeigte zusätzlich Wirkung. Lediglich die Skepsis der Grünen und der Widerstand gegen die Projekte in den einzelnen Regionen brachte Sand ins Getriebe. Erst die mutige Einsicht des damaligen Ministerpräsidenten Steinbrück in Nordrhein- Westfalen über die verkehrliche Fragwürdigkeit und kostenmäßige Unkalkulierbarkeit sowie das schreckliche Transrapid-Unglück im Emsland im September 2006 brachten das Projekt politisch so sehr ins Schlingern, dass nur noch das Münchener Projekt übrigblieb, gegen das sich ein breites Bürgerbündnis und die Stadt mit allen politischen und juristischen Mitteln zur Wehr setzen. Der Stadt waren die zweite S-Bahnröhre und der Netzausbau der konventionellen S-Bahn viel wichtiger als der vom bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber 2002 in einer legendären Rede in den Himmel gehobene Transrapid zum Flughafen, für den es zwei alternative und kostenmäßig viel günstigere Trassen einer Express-S-Bahn gibt. Es wäre ein Stück aus dem Tollhaus gewesen, wenn eine Landesregierung ihrer größten Stadt per Zwang ein nicht gewolltes Projekt aufs Auge gedrückt hätte. 2008 wurde das Projekt beerdigt, s

B.     ICE und seine Neubaustrecken

Vor der Transrapid-Diskussion hatte schon die ICE-Diskussion zwei Jahrzehnte lang die Bahnpolitik unheilvoll dominiert. Auch hier begann es mit der Forcierung der Hochgeschwindigkeitstechnik mit Forschungs- und Entwicklungsgeld für den ICE. Parallel wurden die ersten Hochgeschwindigkeitstrassen in Deutschland geplant, Hannover – Würzburg und Mannheim – Stuttgart. Die ICE-Entwicklung stand erst recht stark unter dem Druck des internationalen Systemwettbewerbs mit dem japanischen Shinkansen und französischem TGV. Es ist typisch, dass die parallel dazu in anderen europäischen Ländern entwickelten Zugkonzepte für optimierte mittlere Geschwindigkeiten um 200 km/h wie der X 2000 in Schweden, der spanische Talgo oder der italienische Pendolino viel weniger Interesse fanden, obwohl sie von Anfang an im netzbildenden Verkehr viel besser eingesetzt werden konnten, und zwar sowohl für die langlaufenden Linien wie auch für mittlere Distanzen. Ihnen fehlte aus deutscher Sicht die Fähigkeit zum Tempo-Bolzen, sie waren zu bescheiden und blieben daher unbeachtet.

Nächster Teil: Ministerpräsidenten als Pharaonen

Über Prof. Dr. Heiner Monheim

(*1946), Geograf, Verkehrs- und Stadtplaner, seit den 1960er Jahren befasst mit den Themen Flächenbahn, Schienenreaktivierungen, Erhalt des IR, S-Bahnausbau und kleine S-Bahnsysteme, Stadt- Umland-Bahnen, neue Haltepunkte, Güter-Regionalbahnen, Bahnreform 2.0, Kritik der Großprojekte der Hochgeschwindigkeit und Bahnhofsspekulation. Details: www.heinermonheim.de

Zeige alle Beiträge von Prof. Dr. Heiner Monheim →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert