Auf der Diesellok nach Königsberg (Pr)
Wollte ursprünglich über ein anderes Thema schreiben; aber aus aktuellem Anlass habe ich ein unvergessliches BAHNERLBENIS erwählt, welches bald schon 30 Jahre zurückliegt.
Die Eltern meiner Schulkameraden, ehemalige Lehrer, Lehrmeister und Gäste des elterlichen Hotels hatten den Krieg erlebt und mussten aus ihrer angestammten Heimat flüchten: Auch der Gründer der Horber Schienentage, mein Freund Kurt Bielecki, der aus Bartenstein (Ostpreußen) stammte.
1991 fuhr ich zum ersten Mal in die Gebiete östlich der Oder-Neiße; nach Schneidemühl musste ich noch über Stettin; über Küstrin-Neustadt gab es noch keinen Personenverkehr. 1992 und 1993 konnte ich meinen sehnlichsten Wunsch erfüllen, nach Königsberg zu gelangen! Es gab eine tägliche Zugverbindung: Ex 55000/55001Gdingen – Danzig – Elbing – Braunsberg – Königsberg mit einem/zwei Schlafwagen Berlin – Königsberg. Passte in die Zeit, wo Ost- und Westeuropa zusammenwachsen schienen. Plötzlich konnte man in zuvor schwer erreichbare Städte im Zug und meist im Schlafwagen täglich gelangen: Minsk, Moskau, Riga, Kiew, St. Petersburg ab München und selbst ein Schlafwagen Moskau-Warschau- Breslau-Dresden-Frankfurt-Basel-Madrid deuteten auf das Zusammenwachsen Ost- und Westeuropas hin!
Mein erster Besuch in Königsberg, 1992, wo ich u.a. vom Nordbahnhof nach Rauschen fuhr, beeindruckte mich so, dass ich beschloss, nochmals dorthin zu reisen. Man brauchte ein Visum für die Oblast Kaliningrad, welches 4-6 Wochen zuvor beantragt 56 DM kostete. Anders in Polen: dort bekam ich es am 08.08., 2 Tage zuvor am Empfang/Büro des Hotel Elzam für umgerechnet ca.18 DM. So stand ich morgens um 07:40 am Bahnsteig in Elbing; in meiner Umhängetasche ein aktueller Stadtplan sowie einer von 1939, ebenso Kopien des damaligen und aktuellen Streckenverlaufes und bestieg den schon bereitstehenden Zug. 4‘40“h dauerte die Fahrt für die 106 km lange Strecke; 1939 waren es noch 1‘20“. Die Grenzaufenthalte in Braunsberg betrugen 55, in Heiligenbeil 60 Min. In Braunsberg fand neben der polnischen Grenzkontrolle auch der Lokwechsel von der PKP SU 45 auf die russische M 62 statt und der WARS (PKP-Speisewagen) wurde abgehängt. Nach 55 Minuten fuhr der Zug langsam weiter; 7 km überquerte er über die polnisch-russische Grenze durch die geöffneten Stahltore. Auf der einst zweispurigen Hauptbahn war die nach Königsberg führende Strecke normal, die andere auf Breitspur umgebaut.
Im 12 km entfernten Bahnhof Heiligenbeil fand die russische Kontrolle statt. Meiner Bitte, den Zug zu verlassen, um mich umzusehen, wurde nach Kontrolle meines Passes und Visum stattgegeben. Verwundert ob meines Interesses an der Lok sprach mich der Lokführer an; verständigen konnten wir uns ja nicht. Zeigte ihm ein Foto von mir auf der 218 vor dem Kleber-Express; er nickte, holte den Zugführer, der einige Brocken deutsch sprach; gestikulierend erlaubte er mir, in sein „Allerheiligstes“ einzutreten. Er bot mir sogar Platz auf dem Führerstand an; ob ich denn…? Gab ihm einen 10 Mark Schein (umgerechnet sein Wochenlohn); er rief dem Zugführer und Grenzbeamten was (auf Russisch) zu; ich konnte mein Glück kaum fassen. Auf der letzten Etappe der einstigen Ostbahn, den letzten 50 km durch ein Gebiet, welches bis vor kurzem noch von der gesamten Welt abgeschnitten war, durfte ich auf dem Führerstand mitfahren! Die Hg betrug 90 km/h; meist fuhr er mit 75/80 km; der Zustand der Strecke ließ nicht mehr zu. Von der Ferne aus sieht man das Frische Haff: Wie viele tausende haben im kalten Januar 1945 über das gefrorene Meer ihre Heimat verlassen?