Jahresrück- und Ausblick von Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene
Liebe Bürgerbahn-Mitglieder und -Interessierte, ein für die Entwicklung von Bürgerbahn in mehrfacher Hinsicht entscheidendes Jahr geht zu Ende.
- Arbeit an Winfried Wolfs Vermächtnis
Unser unermüdlicher Gründervater, Antreiber und Inspirator Winfried Wolf ist im Mai verstorben und hat eine schmerzliche Lücke in unseren Reihen hinterlassen. Wir werden versuchen, sein strategisches Vermächtnis umzusetzen.
- Bürgerbahn stellt sich neu auf
Zwei Mal haben wir uns im Naturfreundehaus in Köln zu Mitgliederversammlungen getroffen. Bei der ersten haben wir beschlossen, uns organisatorisch als e.V. aufzustellen, in der zweiten haben wir die entsprechende Satzung verabschiedet und einen Vorstand gewählt. Wir haben auch beschlossen, uns intensiv mit anderen Umwelt-, Verkehrs- und Bahninitiativen zu vernetzen. Und stärker als bisher neue Mitglieder und Interessenten zu gewinnen, die sich in generelle oder auch regionale und lokale Fragen der Bahnpolitik einmischen wollen.
- Verkehrsinvestitionsprogramme grundlegend überprüfen
Die deutsche Bahnpolitik steht vor einer großen Herausforderung, weil durch die finanziellen Folgen des Grundsatzurteils des Bundesverfassungsgerichts auch die Finanzmittel für die künftigen Bahninvestitionen auf dem Prüfstand stehen. Aber die DB und der Bund machen trotzdem keine grundlegende Überprüfung der geplanten Großprojekte im Bahnbereich und im Fernstraßenbereich.
- InfraGO als „Minireförmchen“ ist zu wenig
Statt die klimapolitischen Herausforderungen der deutschen Bahnpolitik offensiv anzugehen, gibt es ein kleines formelles „Reförmchen“, die Umfirmierung der bisher getrennten Infrastruktursparten zu einer neuen InfraGO. Die Frage der Gemeinnützigkeit und die Mitwirkung der Hauptbetroffenen in den Bahngewerkschaften, den Umwelt-, Verkehrs- und Fahrgastverbänden bleibt ungeklärt. Die eigentlich anstehenden grundlegenden Herausforderungen einer Bahnreform 2.0 werden nicht angegangen.
- Verkehrswende erfordert Bahnreform 2.0
Bund, Länder, ihre Verkehrsressorts und Parlamente sowie die DB verweigern die dringend erforderliche Neuorientierung der Verkehrs- und Bahnpolitik für die klimapolitisch zwingende Verkehrswende. Noch führt das alltägliche Fiasko des deutschen Bahnverkehrs zu keiner politischen und medialen Generaldebatte. Das muss sich ändern. Und dazu will Bürgerbahn beitragen.
- Fixierung auf radikale Totalsperrungen aufgeben
Die derzeit immer wieder angesprochene sogenannte „Generalsanierung“ wird ohne die nötige grundlegende Debatte angegangen. Sie wird nach ihrem Beginn in ihrem ersten Teilabschnitt auf der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim zu einem plötzlich schockartigen Erwachen führen. Sie hat mehrere grundlegende Fehler.Erstens basiert sie auf der Totalsperrungen wichtiger Netzteile und lässt die Option einer minimal invasiven schrittweisen Teilsanierung „unter rollendem Rad“ außer Acht, obwohl diese ohne Netzzusammenbrüche und ohne die sonst unweigerliche Maximierung von Fahrgastfrust und betrieblicher Güterbahnstilllegung möglich wäre.
- Bekenntnis zur echten Generalsanierung
Zweitens suggeriert sie mit dem Wortteil „General“, das ganze Bahnsysteme würde saniert. Davon kann angesichts der Beschränkung auf nur neun Hauptkorridore mit zusammen 9.000 Netz-km keine Rede sein. Der Rest des Netzes bleibt unsaniert und die Fülle der dringend notwendigen infrastrukturellen Kleinigkeiten wird auf den Sanktnimmerleinstag verschoben.
- Monopolisierung der Investitionen auf wenige Korridore beenden
Wie so oft monopolisieren wieder mal die Hochgeschwindigkeitsstrecken mit ihrem offenkundigen besonders schnellen und massiven Verschleiß die ganze politische Aufmerksamkeit und Investitionskraft. Stattdessen muss die Devise lauten: Takt statt Tempo.
- Alternativen zur selbstmörderischen sogenannten Generalsanierung
Erstaunlich ist die durchgängige mediale Verweigerung, das Thema grundlegend und kritisch zu behandeln und Alternativen zu diskutieren. Wenn der frühere SBB-Chef Benedikt Weibel die deutsche Generalsanierung als „Selbstmord mit Ansage“ bezeichnet, dann sollten eigentlich deutsche Bahnmanager und Bahnpolitiker kritisch innehalten, und das Parlament sollte diese Grundsatzfrage deutscher Verkehrspolitik auf die Agenda setzen. Schade, dass wir nicht wie in den früheren Zeiten der Börsenbahndebatten mehrere Bundestagsabgeordnete in unseren Reihen haben, die mit kleinen und großen Anfragen angemessene Generaldebatten lostreten können.
- Eine neue Debattenkultur
Hoffen wir, dass der von unserem Mitglied Klaus Gietinger nach seinem Film „Das trojanische Pferd“ über S 21 als nächstes geplante große Bahnfilm endlich die nötige Debattenlawine initiieren kann, zu der Bürgerbahn mit seinen vielen Impulsen in den Railblogs, Analysen und Newslettern beitragen will.
- Fazit: Wir brauchen eine echte Generalsanierung der Bahn
Arbeiten wir also weiter am Versuch, der deutschen Bahnpolitik eine echte Generalsanierung des Systems mit einer schonungslosen Fehleranalyse anzudienen. Mit einer Rückgängigmachung der vielen verheerenden Fehlentscheidungen des Bahnmanagements wie
- dem Rückzug der Bahn aus der Fläche mit den vielen Stilllegungen,
- dem massiven Kapazitätsabbau durch massenhafte Herausnahme von Weichen, Überholgleisen und Güterbahnanschlüssen,
- der Abschaffung des IR-Systems,
- der Weigerung, selber in europäische und deutsche Nachtzüge zu investieren,
- der monopolisierenden Konzentration der Investitionen auf die wenigen Hochgeschwindigkeitsstrecken,
- der Fixierung auf die vielen desaströsen Auslandsengagements und bahnfremden Investments
- dem tunnelfixierten Hinterherhecheln von spekulativen Immobilienprojekten an Großstadtbahnhöfen.
Wir von Bürgerbahn hoffen für das neue Jahr auf eine Verbreiterung unserer organisatorischen Basis durch viele Interessenten und Mitglieder, ein größeres Medienecho und mehr Fortschritte beim Thema Verkehrswende.