Das Freitagchaos am Hauptbahnhof … oder der DB-Vorstand „hat fertig“
Ich wollte am Freitag meine Tochter aus Heidelberg vom Zug abholen und war zu früh dran, auch weil ihr Zug Verspätung hatte. Während ich noch überlegte, wie ich die Zeit am besten überbrücke, schlenderte ich Richtung Biberhaus. Plötzlich vibrierte die Erde und es rumpelte etwas, so dass ich erst an ein Erdbeben dachte. Das war gegen 15.30 Uhr oder auch etwas später.
Die Plätze und Straßen waren wegen des St. Pauli- Spiels mit Mannschaftswagen der Polizei vollgestellt, so dass ich mich zunächst nicht wunderte, als nach und nach etliche Feuerwehrzüge eintrafen. Als ich dann an der Ernst-Merck-Brücke eingetroffen war, warnte mich ein dort befindlicher Feuerwehrmann davor, die Brücke zu betreten, da sie einsturzgefährdet sei. Auf meine Frage nach dem „warum“ erzählte er mir, dass eine S-Bahn entgleist und dabei an einen Brückenpfeiler geprallt sei.
Kurz darauf sah ich Massen von Hilfssheriffs der DB-Sicherheit umherlaufen, welche das gesamte Karrée zwischen der nordwestlichen Stirnwand der Hbf-Halle und der Ernst-Merck-Brücke eilig mit Flatterband absperrten. Man wollte damit jeden Blick auf die Gleise und die Unglücksstelle verhindern und selbst die Gärten der Kunsthalle wurden abgesperrt. Ich bin trotzdem in den Kunsthalle-Garten gelaufen und habe Bilder vom Zaun aus gemacht. Ein DB-Hilfssheriff wollte das verhindern, indem er mir sagte, dass er hier das Hausrecht hätte. Als ich ihn deshalb auslachte, hat er einen richtigen Polizisten geholt, der mich dann freundlich lächelnd bat, die Kunsthallen-Wiese zu verlassen.
Das war so gegen 16 Uhr und obwohl klar war, dass sich im Hauptbahnhof die nächsten Stunden kein einziger Zug bewegen würde, wurden die inzwischen Tausenden von Fahrgästen auf den Bahnsteigen vertröstet, so nach dem Motto, bitte Geduld, es geht gleich weiter. Die einzigen Maßnahmen der DB bestanden darin, alle Bahnsteige mit jeweils fünf bis acht Hilfssheriffs so abzusperren, dass man ja kein Foto von der Unfallstelle machen konnte. Ich konnte dann heimlich doch ein Bild machen, erkannte darauf einen Hilfszug und wunderte mich noch, wie schnell die DB diesen zur S-Bahn-Bergung herbeigezaubert hatte.
Erst später bekam ich dann die Info, dass dieser Hilfszug mitnichten zur S-Bahn-Rettung gekommen war, sondern wohl das Unglück ausgelöst hatte, indem er durch einen nicht eingezogenen Kranausleger mit der Brücke kollidiert war. Dadurch hatte der Hilfszug wohl seine aufgeladenen Container verloren, mit denen dann der S-Bahn-Zug kollidiert sei.
Inzwischen hatte meine Tochter in ihrem in Tostedt gestrandeten ICE die Durchsage bekommen, dass der Zug weiter nach Harburg fahren würde und die Reisenden mit Ziel Hamburg dort bitte aussteigen sollen. Zur Weiterfahrt nach Hamburg wurde unter anderem die S-Bahn angekündigt. Ich habe dann den 112er Bus nach Hammerbrook-Nord genommen, weil dort angeblich die S-Bahn fahren sollte und tatsächlich waren auf der Anzeigetafel unten am S-Bahn-Eingang zahlreiche S-Bahn-Abfahrten aufgelistet.
Der Bahnsteig war allerdings total überfüllt und mir war sofort klar, dass dort schon länger kein Zug mehr gefahren ist. Ich bin dann zur Notrufsäule und habe gefragt: „Fährt die S-Bahn, ja oder nein?“ Die männliche Stimme bat um einen Moment Geduld und verkündete dann, dass in Hammerbrook auf absehbare Zeit nichts fahren würde, weil wohl etliche Fahrgäste der – schon seit mittlerweile über einer Stunde auf freier Strecke haltenden – S-Bahnen diese verlassen hätten und deshalb der Fahrstrom abgeschaltet werden musste.
Kurz danach kam die Bahnsteig-Ansage, dass keine S-Bahn-Züge fahren würden. Ich bin sofort runter gerannt zum 112er Bus und hunderte Fahrgäste hinter mir her. Der nächste Bus war recht leer, ich konnte einsteigen, doch inzwischen waren etwa zehnmal so viele Fahrgäste vom Bahnsteig am Bus angekommen, als in diesen reinpassten. An der nächsten Haltestelle Süderstraße bin ich wieder ausgestiegen, weil ich eigentlich mit dem 154er zur Veddel fahren wollte. Denn meine Tochter hatte mir inzwischen durchgegeben, dass die in Harburg Richtung Hamburg abfahrenden S-Bahnen nur bis Wilhelmsburg fahren würden und sie im völlig überfüllten Bus der Linie 13 auf dem Weg zur Veddel sei. Doch an der Haltestelle der Linie 154 nach Harburg standen bereits Trauben von Menschen, weil alle Busse wegen Überfüllung vorbeigefahren waren.
Inzwischen berichtete mir meine Tochter von der Veddel, dass es erste Schlägereien zwischen den Fahrgästen um den Einstieg in die völlig überfüllten Busse der Linien 154 und 155 geben würde. Es waren inzwischen fast drei Stunden vergangen, als ein erster von der DB gecharterter Gelenkbus in der Veddel eintraf und die auf der Veddel wartenden Fahrgäste zur Haltestelle Elbbrücken beförderte. Ich bin dann wieder in den fast leeren 112er Bus zum Hbf eingestiegen. An der nächsten Haltestelle Hammerbrook-Süd standen Hunderte von Fahrgästen, von denen natürlich wiederum nur ein Bruchteil in den Bus passte.
Ich bin dann bis zum Hbf gefahren. Auch hier gewaltige Menschentrauben, die mit dem Bus offenkundig Richtung Dammtor wollten, weil die S-Bahn ja nicht fuhr. Auf die Idee, mit der U2 oder U4 zum Jungfernstieg zu fahren und von dort mit der U1 zum Stephansplatz, scheint kaum einer gekommen zu sein. Ich habe dann noch einmal das noch abgesperrte Karrée der Unfallstelle inspiziert und traf zufällig wieder auf den netten Feuerwehrmann, der meinte, dass dieses Chaos wohl noch einige Tage Bestand hätte.
Die Situation stellt sich abschließend wie folgt dar:
- Sämtliche Streckengleise Richtung Dammtor sind gesperrt, weil die schon seit längerem baufällige Ernst-Merck-Brücke nicht unterquert werden darf.
- Bei der S-Bahn gibt es einen Notbetrieb über den City-Tunnel mit entsprechenden Auswirkungen auch nach Poppenbüttel, Aumühle und Neugraben.
- Die Fernzüge müssen alle im Hbf kehren und fahren recht unkoordiniert zurück oder gleich über die Güterumgehungsbahn in die Instandhaltungswerke Langenfelde und Eidelstedt.
Zusammenfassung:
- Ein Krisenmanagement bei der Bahn gibt es nicht einmal im Ansatz. Hamburg hat nicht nur das Nadelöhr mit den Elbbrücken, sondern auch mit maroden Straßenbrücken. Den schlechten Zustand der Ernst-Merck-Brücke hat die Hansestadt seit Jahren ignoriert.
- Der DB ist die weiträumige Absperrung der Unfallstelle zur Vermeidung von jeglichem Sichtkontakt – die in ihrer Tieflage ohnehin nicht zugänglich ist – mit weit mehr als hundert DB-Sicherheitsleuten wichtiger als eine verlässliche Information tausender Fahrgäste auf den Bahnsteigen und im Umfeld des Hauptbahnhofs.
- Zwischen den Unternehmen Deutsche Bahn, Hochbahn, VHH und nicht zuletzt dem HVV gibt es offensichtlich keinerlei Kommunikation und die Fahrgäste blieben viele Stunden lang sich selbst überlassen. Die elektronische Fahrgastinformation hat entweder Mist angezeigt oder ist zusammengebrochen.
- Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Deutsche Bahn an dem Tiefpunkt ihrer Geschichte angelangt ist, wurde dieser gestern und wird sicherlich auch noch in den nächsten Tagen geliefert.
Der Fisch stinkt bekanntlich vom Kopf her und dieser DB-Vorstand „hat einfach fertig“.