rail blog 287 / Joachim Holstein

Digitalisierung als Schikane und Abzocke, Teil 2

Es gibt Menschen in Deutschland, die kein Smartphone haben. Das ist ihr gutes Recht.

Es gibt Menschen in Deutschland, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren und dafür ein Jobticket nutzen, das vom Arbeitgeber bezuschusst wird. Auch das ist ihr gutes Recht.

Es gibt Menschen, auf die trifft beides zu. Auch das macht sie nicht zu Rechtlosen.

Einer dieser Menschen wohnt in der Nähe des thüringischen Heiligenstadt und pendelt mit Bahn und Bus zu seinem Arbeitsplatz in Göttingen. Sein Jobticket »liegt« auf dem Smartphone seiner Tochter.

„Ich nutze als Ticket den Ausdruck vom Telefon meiner Tochter“, erklärt Holbein. Immer dabei hat er einen ausgedruckten Screenshot vom Ticket in der DB-Navigator-App, welches vor allem den QR-Code zeigt. „Das wird seit Juni 2023 von allen Kontrolleuren der Deutschen Bahn, Abellio, Cantus und anderen akzeptiert“, berichtet Holbein von seinen Erfahrungen als Pendler. Der ausgedruckte QR-Code könne ohne Probleme wie vom Smartphone-Display ausgelesen werden, hier habe es nie Beanstandungen gegeben.

Anders in den Bussen der Göttinger Verkehrsbetriebe (GöVB). Dort wurde er als Schwarzfahrer behandelt, aus dem Bus geworfen und zur Zahlung von 60 Euro aufgefordert.

„Wirklich ärgerlich“ und „absolut unnötig“ nennt Holbein den Vorfall. Denn mit dem QR-Code könne er ja belegen, dass er das Ticket für den Monat gekauft hat. Auch könnten die Kontrolleure mithilfe des Personalausweises abgleichen, dass er tatsächlich der Inhaber ist.

Das ist bei den GöVB aber nicht vorgesehen. Wozu Logik und Tatsachen, wenn es selbstgemachte Vorschriften gibt?

Eine Mitarbeiterin antwortete ihm: Der vorgelegte Screenshot gelte, ebenso wie Fotos oder Kopien, nicht als gültiger Fahrausweis, wie auch in den Tarifbestimmungen beschrieben. Er könne jedoch innerhalb einer Woche ein gültiges Deutschlandticket direkt in der App vorzeigen, dann müsse er nur noch sieben Euro Bearbeitungskosten zahlen statt 60 Euro.

Der Pendler reiste also mit dem Smartphone der Tochter zum Büro der GöVB, zeigte den QR-Code auf dem Display vor und zahlte 7 Euro, die restlichen 53 Euro wurden ihm erlassen. Er wurde also in den Status »Besitzer eines gültigen Zeitfahrausweises, der diesen bei der Kontrolle nicht vorweisen konnte«, eingestuft.

https://www.goettinger-tageblatt.de/lokales/goettingen-lk/goettingen/deutschlandticket-in-goettingen-pendler-muss-trotz-job-ticket-aus-goevb-bus-aussteigen-2M247UXLXBD47IFLNBCZUSBGO4.html

Ich selber habe mein Deutschlandticket in Form einer Plastikkarte in der Tasche. Das ist wesentlich sicherer, bequemer, einfacher und preiswerter als ein Smartphone. Die Kontrollen gehen digital ruckzuck: Der Chip wird vom Kontrollpersonal per Scanner ausgelesen, fertig.

Eine solche Chipkarte soll in Göttingen im August 2024 eingeführt werden. Der betroffene Pendler begrüßt das und will bis dahin weiter den Papierausdruck nutzen, …

… auch weil andere ÖPNV-Betreiber diesen akzeptierten. „Ein QR-Code ist doch digital“, sagt der Pendler und sieht sich weiterhin im Recht. „Falls es gar nicht mehr geht“, müsse er sich wohl doch noch ein Smartphone anschaffen. „Oder wieder Auto fahren“, sagt er.

Und dann hätte dieser eine Verkehrsverbund, dieser eine Betreiber einen Kunden (und potenziell viele weitere) erfolgreich vergrault. Das kann doch außer der Autolobby (hallo Herr Lindner, hallo Herr Wissing!?!) niemand wollen, oder?

Seit Jahrzehnten kennt man Tickets mit dem Hinweis »nur gültig in Verbindung mit einem amtlichen Lichtbildausweis«, womit dem Fotokopieren von Fahrkarten nach dem Motto »einer zahlt und fünfzig fahren« ein Riegel vorgeschoben werden soll. Es ist unverständlich, dass dieses Prinzip von einem Verkehrsverbund nicht anerkannt wird – mehr noch: dass ein Verkehrsverbund sich das Recht herausnehmen darf, dieses Prinzip nicht anzuerkennen. Hier hätte der Gesetzgeber klare Festlegungen vornehmen müssen: Alle Anbieter haben das Deutschlandticket auch in Form einer Chipkarte auszugeben, alle Anbieter haben es als Chipkarte anzuerkennen. Und das müsste dann auch für die ganzen Jobtickets gelten.

Über Joachim Holstein

(*1960) arbeitete von 1996 bis 2017 als Steward in Nacht- und Autozügen der DB, war von 2006 bis zur Einstellung dieser Verkehre Betriebsrat der DB European Railservice GmbH und zuletzt Sprecher des Wirtschaftsausschusses. Mitbegründer der Initiative zur Rettung des Nachtzuges Hamburg-Paris (2008; »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«) und des europäischen Netzwerks für Nachtzüge »Back on Track« (2015; https://back-on-track.eu/de/); Weiteres unter www.nachtzug-bleibt.eu

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