rail blog 329 / Joachim Holstein

Zu hoch im Norden

In Elmshorn nordwestlich von Hamburg hat es am Donnerstag, dem 5. September 2024 gegen 14:30 Uhr gekracht. Ein Bus des kommunalen Verkehrsunternehmens KViP wollte von der einen Seite des Bahnhofs auf die andere und fuhr in eine Unterführung, vor der ein Schild auf die maximale Durchfahrthöhe von 2,8 Metern verweist.

Leider war es ein Elektrobus, der seine Akkus auf dem Dach hat. Die krachten gegen die Brückenträger und gingen sofort in Flammen auf, in den Medien ist von einem Vollbrand die Rede, der erst nach dreieinhalb Stunden so weit heruntergekühlt werden konnte, dass die Batterien keine akute Gefahr mehr darstellten – erst dann konnte der Bus unter der Brücke herausgezogen werden.

https://www.abendblatt.de/schleswig-holstein/pinneberg/article407185283/e-bus-steht-in-flammen-geschwister-scholl-tunnel-gesperrt.html

Warum der Busfahrer, der unverletzt blieb, die zulässige Höhe seines Fahrzeugs missachtet und sogar die hölzerne Begrenzung der Höhenkontrolle durchbrochen hatte, bevor er im Tunnel steckenblieb, ist zurzeit nicht bekannt.

Nun, ich hätte da eine Vermutung. Sechs Wochen zuvor publizierte dieselbe Zeitung ein Foto der Unterführung. Und was hängt da bitte unter dem Schild mit dem Verbot für Fahrzeuge über 2,80 Meter Höhe?

»Linienverkehr frei«

https://www.abendblatt.de/schleswig-holstein/pinneberg/article406798745/stadt-beschliesst-aus-fuer-autos-im-geschwister-scholl-tunnel.html

Irgendwie ergibt dieses Zusatzschild da keinen Sinn. Vielleicht hatte sich da jemand an Schopenhauers »Die Welt als Wille und Vorstellung« orientiert – ich fühle mich an die Einführung in den dialektischen und historischen Materialismus erinnert, als uns die Spezies der »subjektiven Idealisten« als Menschen erklärt wurde, die versuchen würden, durch eine geschlossene Tür zu gehen, weil sie sich vorstellten, sie sei offen, und ihrer Vorstellung Priorität vor der objektiven Realität einräumten. Vielleicht hätte sich die Straßenverkehrsbehörde in Elmshorn lieber an Friedrich Engels halten sollen, der im »Anti-Dühring« den Freiheitsbegriff von Hegel als »Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit« formulierte. Dass Naturgesetze nicht außer Kraft gesetzt werden können, haben ja andere auch schon erfahren.

Aber es handelte sich ja leider nicht um eine Gedankenübung aus dem Philosophieseminar, sondern um einen realen Unfall.

Und zwar direkt unter den Bahnsteigen des Bahnhofs Elmshorn. Dieser wurde sofort gesperrt, wegen zerstörter Kabel wurde ein Stellwerk abgeschaltet, Bahnen mussten evakuiert werden. Während ich dies schreibe, heißt es, dass die »Störung« erst am Montag, den 9. September behoben sein soll.

Und das sind die Konsequenzen für den Bahnverkehr:

Wegen des Vorfalls kommt es zu erheblichen Beeinträchtigungen im Bahnverkehr. So sind zum Beispiel als Erstes die RE 7, RE 70 sowie RE 11173 und RE 11220 ausgefallen. Ein Ersatzverkehr ist eingerichtet.

Dennoch werden viele Reisende mit dem Fahrtziel Sylt erst einmal in die Röhre schauen; die Verzögerungen dürften erheblich sein. Deutlich wurde das etwa am frühen Abend schon am Busbahnhof in Pinneberg. Viele Menschen warteten auf den Schienenersatzverkehr. Es spielten sich teils chaotische Szenen ab, weil die Busse überfüllt waren. Auch etliche Privatautos holten Gestrandete ab.

Als Beispiel für die derzeit schwierige Verbindung auf der gesperrten Strecke dient eine Buchungsanfrage auf der Seite der Deutschen Bahn: So hieß es etwa, dass, wer um 16.50 Uhr ab Pinneberg in Richtung Sylt aufbrechen wollte, zunächst nach Hamburg-Altona fahren solle. Ankunft: 17.32 Uhr.

Dann soll ein Schienenersatzverkehr per Bus die Fahrgäste über Elmshorn und Glückstadt bis zum Umstieg nach Itzehoe bringen. Von dort aus ist um 19.26 Uhr die Weiterfahrt mit der RE6 vorgesehen, geschätzte Ankunft in Westerland: 21.34 Uhr. Es ist also viel Geduld erforderlich.

https://www.abendblatt.de/schleswig-holstein/pinneberg/article407185283/e-bus-steht-in-flammen-geschwister-scholl-tunnel-gesperrt.html

Und ich Dummerchen hätte erwartet, dass ein Schienenersatzverkehr, der von Altona aus Elmshorn und Glückstadt ansteuert, unterwegs auch in Pinneberg hält, wo die Hamburger S-Bahnen enden. Aber was weiß ich schon, ich bin ja kein Entscheider bei der Bahn.

Tags drauf wurde präzisiert:

Die ICEs zwischen München/Basel und Kiel fahren nur bis Hamburg, genauso wie die ICEs aus Karlsruhe/München nach Westerland. Die Züge zwischen Hamburg und Kopenhagen fallen zwischen Hamburg und Padborg aus.

Reisende von und nach Kiel können laut der Bahn den Regionalverkehr über Lübeck nutzen. Reisende von und nach Neumünster können den Regionalverkehr bis Elmshorn nutzen. Zwischen Elmshorn und Neumünster fahren Ersatzbusse. Reisende von und nach Westerland auf Sylt können den Regionalverkehr nutzen, dabei ist allerdings ein Umstieg in Elmshorn und Itzehoe erforderlich. 

Dieses Szenario lohnt einen Blick auf die Streckennetzkarte. Züge aus Dänemark werden also in Padborg gestoppt – sage und schreibe 150 Kilometer nördlich des Unfallortes, anstatt sie zumindest bis nach Neumünster weiterfahren zu lassen, 105 km weiter südlich. Warum? Hatte man da keine Kapazitäten, um bei den Zügen das Schwarzwasser abzupumpen und Frischwasser aufzufüllen?

Und natürlich fällt bei so einer Havarie der unzureichende Streckenausbau auf. Hätten Bund und Land kein Geld für Ostseeautobahnen und andere Asphaltpisten verschwendet, sondern auf Elektrifizierung und Zweigleisigkeit der Bahnstrecken gesetzt, hätte man schon längst von Neumünster aus via Bad Segeberg und Bad Oldesloe nach Hamburg oder gar von Flensburg via Süderbrarup, Kiel, Plön, Lübeck, Ratzeburg und Büchen nach Lüneburg und weiter Richung Hannover kommen können. Aber so tuckern nur Dieselzüge durch die Felder und laden zum Blümchenpflücken ein.

Über Joachim Holstein

(*1960) arbeitete von 1996 bis 2017 als Steward in Nacht- und Autozügen der DB, war von 2006 bis zur Einstellung dieser Verkehre Betriebsrat der DB European Railservice GmbH und zuletzt Sprecher des Wirtschaftsausschusses. Mitbegründer der Initiative zur Rettung des Nachtzuges Hamburg-Paris (2008; »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«) und des europäischen Netzwerks für Nachtzüge »Back on Track« (2015; https://back-on-track.eu/de/); Weiteres unter www.nachtzug-bleibt.eu

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3 Kommentare zu “rail blog 329 / Joachim Holstein”

  1. Die Situation ist leider noch undurchsichtiger (und irgendwie verrückter) als hier beschrieben.
    Ich musste nächstentags von Wrist (12 Bahminuten von Elmshorn entfernt) nach Hamburg,
    Der lt. https://www.bahn.de ausgewiesene SEV hätte mich um 9:26 Uhr per Bus nach Pinneberg bringen sollen.
    Der kam dann auch.
    Allerdings 40 Minuten später. Weder der (noch nicht eingesparte) Mann am dortigen DB-Schalter noch der Busfahrer konnten irgendetwas zu Abfahrts- oder Fahrtzeiten sagen („Wir haben keinerlei Informationen“). Der Bus beendete seine Tour dann schon in Elmshorn („ich fahre jetzt wieder zurück nach Neumünster“). Nebenbei:
    Die Halte Dauenhof und Horst sind überhaupt nicht angefahren worden. Summa summarum konnten über 1.000 Pendler nicht wie üblich (wenn überhaupt) zur Arbeit.
    In Elmshorn hat mich die DB-App dann auf die AKN und U1 (immerhin schon Hamburger Stadtgebiet) verwiesen. Allerdings stand auf dem gegenüberliegenden Gleis erstaunlicherweise eine Nordbahn (RB61) aus Itzehoe kommend Richtung Hamburg-Altona
    … und fuhr drei Minuten später ab.
    Ohne mich, denn ich hab’s erst gar nicht kapiert.
    Die Strecke nach Itzehoe war ja offiziell ebenfalls gesperrt („Oberleitungsschaden“).
    Ich habe dann die AKN fahren lassen und bin 30 Minuten später mit der nächsten Nordbahn nach Hamburg gefarhen.
    Ich hatte Gelegenheit mit der Zugführerin zu sprechen und erfuhr:
    DB und DB-Regio haben sämtliche ihrer Zugverbindungen ausgesetzt; die Nordbahn hat für sich jedoch anders entschieden und hält den Fahrbetrieb uneingeschränkt aufrecht . Warum jedoch die Strecke bis Neumünster gesperrt wurde, bleibt ein Rätsel.

  2. Hallo Joachim,

    vielen Dank für deinen sehr detaillierten und aufschlussreichen Beitrag! Die Schilderung des Busunfalls in Elmshorn und die darauffolgenden Beeinträchtigungen im Bahnverkehr sind beeindruckend beschrieben. Besonders die Kombination aus einer vermeidbaren Fehlplanung und den weitreichenden Konsequenzen zeigt, wie fragil unsere Verkehrsinfrastruktur sein kann. Dein Ansatz, auch philosophische Perspektiven einzubeziehen, gibt dem Ganzen eine besondere Tiefe. Ich hoffe, dass solche Vorfälle zukünftig vermieden werden können.

    Beste Grüße,
    Voktor von Elmshorn Aktuell

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