rail blog 33 / Heiner Monheim

Mit dem 49-Euro-Ticket zur Verkehrswende?

Endlich: Ab Mai 2023 Nachfolgeregelung für das 9-Euro- Ticket

Am 15. März 2023 hat der Deutsche Bundestag das 49-Euro-Deutschlandticket beschlossen. Am 31. März soll der parallele Beschluss des Bundesrates folgen. Bund und Länder werden für drei Jahre jährlich je 1,5 Mrd. Euro aufbringen. Der Betrag soll nach dem Preisentwicklungsindex dynamisiert werden. Der Bund hat sich zudem zur hälftigen Übernahme der nach einer evaluativen Bilanz festgestellten Kostenunterdeckung verpflichtet. Starten soll das Deutschlandticket am 1. Mai 2023. Damit ist endlich die seit dem Auslaufen des dreimonatigen 9-Euro-Experiments im August 2022 nötige Nachfolgeregelung gefunden worden. Man brauchte 8 Monate, um zwischen Bund und Ländern, Aufgabenträgern des ÖPNV und SPNV, Spitzenorganisationen des ÖPNV wie dem VDV und der DB einen Konsens über die Details und Finanzierung einer Nachfogeregelung auszuhandeln.

Diese achtmonatige Pause hat viel Frust bei den Umwelt- und Verkehrsverbänden hinterlassen. Sie hatten sich eine schnelle Anschlussreglung schon im September oder wenigstens Ende 2022 erhofft.

„To Do‘s“, um den Erfolg des 9-Euro-Tickets wiederholbar zu machen

Jetzt stellt sich die Frage, ob der insgesamt große Erfolg des 9-Euro-Tickets trotz des höheren Preises, der aber immer noch deutlich günstiger ist als alle bis dahin bekannten Flat-Rate-Abos, wiederholt werden kann? Und ob die durch den letztjährigen Massenandrang ausgelösten Kapazitätsprobleme inzwischen behoben werden konnten? Man erinnert sich: Es gab überfüllte Fahrzeuge und Bahnsteige, besonders schwer hatten es Mobilitätseingeschränkte, Kinder und alte Menschen im zeitweisen Gedränge. Gelegentlich nahmen überfüllte Züge keine neuen Fahrgäste mehr auf. Das darf so nicht wieder passieren. Und man muss schnellstmöglich die vor allem im ländlichen Raum sowohl in der Fläche als auch in den vielen Klein- und Mittelstädten offenkundig gewordenen Angebotslücken abbauen. Die DB AG braucht neue Züge und mehr Personal. Und sie muss Zahl und Kapazität ihrer viel zu wenigen Instandsetzungswerke deutich erhöhen. Ähnliches gilt auch für die Fuhrparke der kommunalen und regionalen ÖPNV-Unternehmen. Die Fahrzeugindustrie muss für ein großvolumiges Beschaffungsprogramm befähigt werden. Es geht um die Mobilisierung aller Reserven für eine systematische Angebotsverbesserung.  

Erneut hohe Akzeptanz sichern

Das 9-Euro-Ticket löste in den Medien eine immense öffentliche Aufmerksamkeit für die Bedeutung des öffentlichen Verkehrs in Stadt und Land aus. Es schien wie ein Wunder, dass mit einem Schlag die Kleinstaaterei komplizierter, regionaler Tarifsysteme ausgehebelt war. Laut des VDV/DB-Abschlußberichts zur bundesweiten Marktforschung und anderer Begleitforschungen, u.a. durch Infas, wurden in den drei Monaten der Gültigkeit bis August 2022 52 Mio. 9-Euro-Tickets plus 10 Mio. in 9-Euro-Tickets umgewandelte Altabos verkauft. Es wurden beachtliche Verlagerungen im alltäglichen Verkehrsverhalten erreicht. 17 Prozent der Ticketnutzer sind von anderen Verkehrsmitteln auf den ÖPNV umgestiegen. 10 Prozent der Käufer hatten mindestens eine tägliche Autofahrt unterlassen. 27 Prozent der Fahrten hätten ohne das 9-Euro-Ticket nicht stattgefunden. 52 Prozent nutzten das 9-Euro-Ticket für Alltagsfahrten einschließlich Freizeit und touristischer Fahrten, 40 Prozent für Besuchsfahrten und 37 Prozent für Arbeitswege. 31 Prozent der Fahrten führten über die jeweiligen Verbundgrenzen, hatten also einen vergrößerten Aktionsradius. 27 Prozent der Käufer haben den ÖPNV vorher seltener als einmal im Monat genutzt: Jeder fünfte war Neukunde ohne vorige ÖPNV-Nutzung. Das wichtigste Kaufmotiv war für 69 Prozent der Preis, danach folgte mit 51 Prozent die Flexibilität. Die Zufriedenheit mit dem 9-Euro-Ticket war mit 88 Prozent sehr hoch.  Der Sozialeffekt war beachtlich, denn die Mobilitätschancen für einkommensarme Hnaushalte wurden vervielfacht. Das war für das Autoland Deutschland ein tolles Ergebnis, weil nicht nur in den Ballungsräumen und Großstädten mit ihrem halbwegs passablen Angebotssystem, sondern auch in Mittel- und Kleinstädten und ländlichen Regionen die Abozahlen massiv zunahmen, wo vorher fast nur die Schüler den ÖPNV nutzten. Es gab eine Zunahme der Bahnreisenden um 42 Prozent im Vergleich zum Vor-Corona-Level. Verkehrszählungen zeigten in den meisten deutschen Städten eine Abnahme der Staus.

Fazit: ein attraktiver ÖPNV ist die beste Waffe gegen die vielen Staus in Deutschland.  Es wurden eben in erheblichem Maße Menschen aktiviert, die sich bisher nicht für den Nahverkehr begeistern konnten. Sie machten nach VDV-Einschätzungen 24 Prozent der Ticketkäufer aus. Gleichzeitig hat der einfache Zugang zum System der ÖPNV-Branche viel Sympathie eingebracht. Das Kundenerlebnis ist im Rückblick überwiegend positiv. Die Wertschätzung für den ÖPNV ist deutlich gestiegen. Das Statistische Bundesamt veröffentliche Daten über die Zunahme von Bahnreisen und ihren Distanzen: Die über 30 km hinausgehenden Bahnreisen nahmen um 42 Prozent zu. Vor allem an den sommerlichen Wochenenden wurden auch längere Reisen mit dem Nahverkehr gemacht.

Wie groß jetzt die Akzeptanz beim 49-Euro-Ticket werden wird, bleibt abzuwarten. Fakt ist, dass die einfache, bundeseinheitliche Nutzung wieder geboten wird. Ab Mai 2023 braucht man drei Jahre lang nicht mit Automaten kämpfen, kann alle Zonen und Waben vergessen und freizügig durch alle Tarifgebiete reisen.

Ein Verkehrswendepaket „Deutschlandtakt plus Deutschlandticket plus Klimtaticket“ muss her

Beim 9 € Ticket wurde von den Umwelt- und Verkehrsverbänden kritisiert, dass das größte deutschen Tarifexperiment mit drei Monaten viel zu kurz lief und nicht mit einer grundlegenden Gesamtverkehrsplanung verbunden wurde. Auch jetzt fehlt es an einer klimapolitisch ausgerichteten, offensiven Berechnung der für eine Verkehrswende notwendigen Investitionen für neue Netze, Strecken, Busse und Bahnen, die man mit den Erfordernissen für den Deutschlandtakt kombiniert. Was ist für den entsprechenden Ausbau des ÖPNV in Stadt und Land nötig? Welcher Finanz-, Infrastruktur- und Personalbedarf? Und warum gibt es kein Moratorium, um im System der kommunizierenden Röhren „hier Umweltverbund“ und „da Autosystem“  die ehrgeizigen Ausbaupläne des Bundes für sein Autobahnnetz in Frage zu stellen? Wann werden die dafür massenhaft bereitstehenden Straßenbaumittel in den ÖPNV- und SPNV-Ausbau umgeschichtet? Wird auch das umfangreiche Planungs- und Verwaltungspersonal bei Bund, Ländern und der Straßenbaugesellschaft DEGES transformiert für den erforderlichen Netzausbau des SPNV, des ÖPNV und der Güterbahn? Der ÖPNV ist schließlich die beste Anti-Stau-Waffe. Ohnehin sind alle bisherigen Prognosen über die weiteren Zunahmen des Autoverkehrs obsolet nach den Erfolgen des 9-Euro-Tickets. Darum ist die Chance zu nutzen, mit dem Start des Deutschland-Tickets einen »Doppelwumms« von Deutschlandtakt und Deutschlandticket zu landen und ein Verkehrswendepaket zu schnüren mit dem Titel »Verkehrswende durch Deutschlandtakt und Deutschlandtarif«. Der ÖV braucht eine langfristige klimapolitische Perspektive. Dazu gehört dann auch der Fernverkehr mit ICE, IC, EC und IR-Zügen (letztere sind ein dringend zu reaktivierendes Produkt, das in fast allen Nachbarländern sehr erfolgreich operiert). Deswegen muss das Deutschlandticket um eine Klimaticketoption als „BC 100 für Alle“ ergänzt werden, nach dem Vorbild des Klimatickets in Österreich. Dann kann es gelingen, endlich den  klimapoitisch dringlichen und bisher im Verkehrsbereich immer verfehlten CO2 Einsparbeitrag zu liefern. Immerhin brachten allein schon die drei monatige Dauer eine CO2-Einsparung von rund 1,8 Mio. Tonnen.

Konflikt mit der Generalsanierung

Ein massiver Konflikt wird entstehen, wenn die Bundesregierung und die DB ihre Pläne für die Generalsanierung unverändert umsetzen. Sie beinhalten langdauernde Totalsperrungen wichtiger Eisenbahnkorridore mit massenhaftem Schienenersatzverkehr und dauerhaften Umwegfahrten. Diese Radikalkur kollidiert mit der Absicht, weitere große Fahrgastzuwächse zu erzielen. Hier muss die Forderung der Umwelt- und Verkehrsverbände, eine Sanierung »unter rollendem Rad« vorzunehmen, wie das in der Schweiz und in Österreich üblich ist, ernstgenommen und das Konzept entsprechend verändert werden. Und der Sanierungsstau außerhalb der großen Korridore darf dabei nicht auf der Strecke bleiben.

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Literatur

Bundesregierung (2022): Fragen und Antworten: 9-Euro-Ticket seit Juni 2022
www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/faq-9-euro-ticket-2028756
Zugriff am 16.3.2023

Follmer, R. (9/2022): Ergebnisse aus Beobachtungen per repräsentativer Befragung zum 9 € Ticket. Mobilitätsreport 06, = Infas-Mobilitätsreport Nr. 6, Bonn

Greenpeace (2022), Klimaticket: Wie ein Anschluss an das 9-Euro-Ticket für mehr Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit sorgen kann.

VDV/DB (2022): Abschlußbericht zur bundesweiten Marktforschung. Köln/Berlin

Über Prof. Dr. Heiner Monheim

(*1946), Geograf, Verkehrs- und Stadtplaner, seit den 1960er Jahren befasst mit den Themen Flächenbahn, Schienenreaktivierungen, Erhalt des IR, S-Bahnausbau und kleine S-Bahnsysteme, Stadt- Umland-Bahnen, neue Haltepunkte, Güter-Regionalbahnen, Bahnreform 2.0, Kritik der Großprojekte der Hochgeschwindigkeit und Bahnhofsspekulation. Details: www.heinermonheim.de

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