rail blog 47 / Andreas Kleber

Ende der Schweizer »Nebenbahnen«?

Semesterferien auf der École hôtelière in Lausanne, wo ich für mein A-Diplom lernte. Familie Défago wollte mich als Serviceleiter im Hotel de Champéry; meine Eltern als Urlaubsvertretung für den Restaurant-, Küchenchef und Empfang; ich entschloss mich aber, wieder als Hilfsheizer ins Bw Tübingen zu gehen: Denn die (nicht nur von mir) so geliebte P 8 war 1969 im Bw Tübingen noch im täglichen Einsatz.

Tourismus als Lehrfach war 1969 kaum verbreitet: selbst in der Schweiz, wo der Tourismus eine große Bedeutung hat, gab es nur je einen Hochschullehrer in Genève und St. Gallen. Bei Prof. Curchod aus Genève hatten wir wöchentlich eine knapp zweistündige Vorlesung. Seine „Erkenntnisse“ über »le futur du tourisme en Suisse« gipfelten u.a. darin, dass ab den 70ern die Jumbos in Zürich und Genève die »Gästemassen« bringen würden; die Schweiz Autobahnen zu Europas Zentren benötige, die Eisenbahnen in der Schweiz auf »cinque magistrales« beschränkt seien (St. Margrethen-Genf, Vallorbe-Simplon, Basel-Luzern/Schaffhausen-Zürich-Gotthard, Basel-Bern-Lötschberg-Simplon) »et tous les petits chemins de fers«, also die ganzen »Kleinbahnen«, mit wenigen Ausnahmen verschwinden würden.

Selbst in den Zeitungen der Suisse Romande schrieb Prof. Curchod u. a., dass die Bundes- und Kantonalmittel für zukünftige Investitionen im Verkehrs- und Infrastrukturbereich (Bergbahnen, etc…) angebrachter wären als zum Ausgleich defizitärer Nebenbahnen: »Lieber Strassen für alle, als Schienen für wenige.« Immense Zukunftsprojekte schlug er vor: eine Y-Trasse durch/ins Tessin zur Anbindung der gesamten Schweiz von/nach Italien: »Eine nur im Sommer befahrbare Bahnlinie ist nicht mehr zeitgemäss.« Eine Anspielung auf die Bahnstrecke über den Furkapass.

Dies stimmte mich so traurig: in den noch wenigen Monaten meines Aufenthaltes in Lausanne wollte ich doch einmal mit dem GLACIER-EXPRESS über die Furkastrecke fahren! Warum nicht bei meiner nächsten Fahrt nach Hause?

Schon der Erwerb einer Fahrkarte am Schalter des Lausanner Bahnhofs erwies sich als kompliziert:

»Lausanne – Saulgau via Brigue – Choire – St. Margarethe – Lindau, s’ils vous plait« – »Brigue-Bern-Zürich?« – »NON, Brigue-Choire!« – Ich zeigte mit meinem Finger im Schweizer Kursbuch auf die Strecke 29d: endlich hat die Dame am Schalter es begriffen und mich dabei so ungläubig angesehen: wie kann man nur? Machte doch die Ausstellung einer solchen Fahrkarte für diese Verbindung so viel Mühe!

Mit Freude und Neugier bestieg ich in Brig den GLACIER-EXPRESS: drei Wagen befuhren die Strecke nach St. Moritz – je ein 2. Klasse Wagen der RhB und BVZ sowie ein älterer RhB-Wagen der 1. Klasse mit je einem Abteil am Wagenende. Außer Einheimischen fuhren ca. 15 Eisenbahnbegeisterte aus verschiedenen Ländern in diesem Zug. Höhepunkt war natürlich das Mittagessen im Speisewagen, der in Andermatt angehängt wurde. Doch auch da nur wenige Gäste. Zwischen Chur und Andermatt ist im Speisewagen mehr los, meint der Oberkellner. Und der Schaffner: »Die Zukunft des Glacier-Express sieht nicht gut aus.«

Konnten die beiden wissen, dass einige Jahre später, hauptsächlich durch die Initiative des Tourismusdirektors von St. Moritz, Herrn Danuser, dieser Zug als Aushängeschild für den Schweizer Tourismus weltweite Berühmtheit erlangt? Sein Vater war schließlich Lokkiführer der RhB beim Depot Samedan …

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