rail blog 50 / Heiner Monheim

Die Bahn und das Fahrrad

Das Fahrrad als traditioneller Zubringer zur Bahn
Traditionell war bis in die 1960er Jahre das Fahrrad ein wichtiger Zubringer für den Bahnverkehr. Alle Bahnhöfe und Haltepunkte hatten eigene Fahrradabstellanlagen. Gerade im ländlichen Raum war die Kombinationsoption wichtig. Gelegentlich sieht man heute noch Reste dieser früheren Kombinationsinfrastruktur, mit den Radständern mit schräg aufsteigenden Schieberillen unter einem Wellblechdach. Hinzu kam früher noch die Fahrradmitnahme im Gepäckwagen, die vor allem für den Fahrradurlaub ein wichtiges Kombinationsangebot war.

Spätere Ignoranz der DB gegenüber dem Radverkehr
Ab den 1960er Jahren ging dann bei der Bahn das Interesse an der Intermodalität verloren. Die Gepäckwagen verschwanden aus dem Fernverkehr. Viele Fahrrdabstellanalagen wurden beseitigt oder gammelten vor sich hin. Die Fahrradmitnahme wurde kompliziert tarifiert.  Nur der IR machte im Fernverkehr noch ein passables Mitnahmeangebot. Aber dann wurde der IR kannibalisiert. Der ICE dagegen war Jahrzehnte lang gegen die Fahrradmitnahme versperrt.

Vorbild Niederlande
Unsere Nachbarn in den Niederlanden dagegen fördern schon lange mit System die Kombination Fahrrad und Bahn. Praktisch alle Bahnhöfe und Haltepunkte haben hochwertige Fahrradabstellanlagen. Mittlere und große Bahnhöfe haben eigene Radstationen in beachtlicher Größe mit bewachtem Fahrradabstellen sowie Reparaturservice und meist auch Leihfahrradverleih. Die Radstationen sind allerdings auch kostenpflichtig.   Daneben gibt es für das preissensible Kombiniererpublikum unentgeltliche Bike & Ride-Anlagen mit riesigen Kapazitäten. Radstationen und Bike & Ride-Anlagen haben eine direkte Zuordnung zu den Eingängen und Bahnsteigen. Die Niederländischen Staatsbahnen gründeten in den 1970er Jahren eine eigene Fahrradservice-Gesellschaft (Servelo), die sich um die Investitionen in die Fahrradabstellinfrastruktur kümmerte. Es entstanden in vielen Städten riesige Fahrradparkhäuser mit mehreren Tausend Einstellplätzen, oft platzsparend in Doppelstockparkern untergebracht.

ADFC und NRW als deutsche „Vorreiter“
In Deutschland bewegte sich lange nichts Vergleichbares. Erst der ADFC und das Verkehrsministerium NRW brachten ab den 1990er Jahren Schwung in das Thema. Das Land NRW legte 1995 das Programm „100 Radstationen“ auf und förderte eine eigene Radstationsagentur beim Landes-ADFC. Das Land machte mit der DB einen Rahmenvertrag, der die DB zu Bereitstellung geeigneter Flächen und Räume verpflichtete. Zudem legten die NRW-Verkehrsverbünde mit ihren Stadtbahn- und S-Bahnstädten eigene Bike & Ride Programme auf, die mit Landesförderung neue und meist hochwertige Abstellanlagen errichteten, teilweise auch mit Fahrradboxen. 

Die anderen Länder und die DB bleiben viel zu lange passiv
Die anderen Bundesländer haben erst 20 Jahre später angefangen, eigene Radstationen zu planen und zu fördern. Auch die DB AG blieb in den meisten Regionen passiv. Sie hatte eher immobilienwirtschaftliche Verwertungsinteressen  und forderte hohe Miet/Pachtbeträge bzw. verweigerte die Bereitstellung geeigneter Gebäude und Flächen. Erst ab 2010 nahm dann deutschlandweit das Thema Fahrt auf, allerding blieb es meistens bei wenigen, einzelnen Radstationsprojekten an Großstadtbahnhöfen. Dagegen sind außerhalb von NRW Radstationen in Klein- ud  Mittelstädten immer noch seltene Ausnahmen. 

Effiziente Fahrradmitnahme durch Faltfahrräder
Alternativ zur Fahrradnutzung im Vor- und Nachtransport mittels abgestelltem eigenen Fahrrad nahm ab den 2000er Jahren die Fahrradmitnahme zu. Die Fahrradindustrie machte ein beachtliches Spektrum moderner Faltfahrräder zu erschwinglichen Preisen marktgängig. Diese platzsparende und unentgeltliche Mitnahme wurde immer populärer, zumal sie auch in den Zügen des Fernverkehrs möglich wurde. Heute sieht man immer mehr Kombinierer in Bussen und Bahnen. Ideal für die Fahrradmitnahme sind Mehrzweckabteile mit Klappsitzen und Haltevorrichtungen für Fahrräder, die eine multifunktionale Nutzung sowohl als Sitz als auch als Fahrradabteil zulassen. Die neueren Nahverkehrstriebwagen sind inzwischen überwiegend mit solchen Mehrzweckbereichen ausgestattet.

Leihfahrradsysteme als Kombinationsangebot
Eine weitere Neuerung beflügelt seit 20 Jahren die intermodale Nutzung von Fahrrad und Bus und Bahn, nämlich die schnelle Ausbreitung von Fahrradverleihsystemen und neuerdings auch Rollerverleihsystemen. DB Rent stieg mit Call a Bike an Großstadtbahnhöfen und in Metropolen in das Verleihgeschäft ein, allerdings an den Bahnhöfen meistens mit einer sehr kleinen Zahl entsprechender Räder. Immer mehr Kommunen haben sich dann für öffentliche Leihfahrradsysteme engagiert, bei denen die Bahnhöfe immer  mit besonders hoher Stückzahl ausgestattet wurden. Die Entwicklung begann in den Großstädten, mittlerweile haben aber auch immer mehr Mittel- und Kleinstädte Leihfahrradsysteme. Deren Logistik ist inzwischen hoch entwickelt mit digitalen Buchungs-, Abrechnungs- und Entriegelungs/Verriegelungssystemen und der Option, im Abo an vielen Orten das gleiche System zu nutzen. Nextbike ist derzeit der größte Anbieter, der in vielen  Orten auch mit Verkehrsunternehmen kooperiert.

Bussysteme hinken hinterher
Noch wenig verbreitet ist das Thema Intermodalität in kommunalen und regionalen Bussystemen. An den meisten Haltestellen fehlen eigene Abstellvorrichtungen, obwohl man sie gut in Wartehäuschen integrieren kann. Gerade bei geringer Haltestellendichte hilft die kombinierte Bus-Fahrradnutzung Zeit sparen. Ideal für die Fahrradmitnahme in Bussen sind große Plattformflächen, die man leicht durch Herausnahme von ein oder zwei Sitzreihen schaffen kann. Moderne Busse sollten immer niederflurig und mit breiten Türen ausgesattet sein. Das hilft auch bei der Mitnahme von Rollstühlen, Rollatoren und Kinderwägen.

Deutschlandticket um Fahrradoption erweitern
Leider schließt das Deutschlandticket in seiner aktuellen Konstruktion die Fahrradmitnahme  oder die Leihfahrradnutzung aus. Das hemmt die politisch gewollte Internodalität. Also braucht man eine „Abo-plus-Option“, die ohne jeweiligen Einzelfahrschein mit einem kleinen Aufpreis (z.B. + 6 €) die Mitnahme oder das Leihradabo in das Deutschlandticket integriert.

Über Prof. Dr. Heiner Monheim

(*1946), Geograf, Verkehrs- und Stadtplaner, seit den 1960er Jahren befasst mit den Themen Flächenbahn, Schienenreaktivierungen, Erhalt des IR, S-Bahnausbau und kleine S-Bahnsysteme, Stadt- Umland-Bahnen, neue Haltepunkte, Güter-Regionalbahnen, Bahnreform 2.0, Kritik der Großprojekte der Hochgeschwindigkeit und Bahnhofsspekulation. Details: www.heinermonheim.de

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