Warum leidet die Deutsche Bahn eigentlich unter Personalmangel?
Eine Ursache ist der geradezu blindwütige Personalabbau in den Jahren kurz nach Gründung der DB AG und Fusion von Bundesbahn und Reichsbahn, wobei vor allem gut bezahlte, erfahrene, ältere Beschäftigte mit manchmal recht hohen Abfindungen aus dem Unternehmen in den Ruhestand abgeschoben wurden. Das führte zu einem Verlust an Kompetenz, aber auch an »Standing« erfahrener Bahner gegenüber einem wenig bahnaffinen Management, der bis heute nicht wieder wettgemacht werden konnte.
Seit einiger Zeit jagt eine Einstellungsoffensive die nächste; ein Bahnchef witzelte auch schon mal, man nehme jeden, der nicht bis drei auf den Bäumen sei (die um ihre Arbeitsplätze gebrachten Nachtzugpersonale, die auch heute noch Absagen mit der Begründung bekommen, sie würden nicht zum Konzern und dem Stellenprofil passen, können darüber überhaupt nicht lachen). Da gab es erfolglose »Speed-Datings« für Bewerber im fahrenden ICE, und auf Jobmessen wundert sich der Konzern regelmäßig, warum so wenige Ja zur Bahn sagen.
Ich hätte da drei, vier Vermutungen.
Erstens: Der Ruf der Bahn. Der war schon mal besser. Sagt man heute noch mit Stolz, dass man »bei der Bahn« sei? Oder rechnet man da mit einem Sturm an Erzählungen, was man mit dem Verein alles erlebt habe?
Zweitens: Das Geld. Die Bahn zahlt ihren Leistungsträgerinnen und Leistungsträgern einfach zu wenig Geld. Daher fallen Züge aus, weil kein Personal da ist, oder sie fahren zu spät ab, weil zu wenig Reiniger da waren, oder das Bordrestaurant bleibt zu, weil keine Küchenfeen zu finden waren.
Drittens: Das viele Reisen. Wobei das für uns auf den Nachtzügen kaum ein Problem war, denn wir kamen mit einer Hin- und Rückfahrt auf 22 bis 36 bezahlte Arbeitsstunden; da reichten manchmal fünf solche Touren monatlich für eine Vollzeitstelle. Aber wir waren ja die Exoten mit langen Zugläufen und einem persönlich zugeschnittenen Dienstplan. Und das bringt mich zum vielleicht wichtigsten Grund.
Viertens: Die Arbeitszeiten. Es gibt viele Unternehmen, die 24/7 arbeiten, und es gibt viele Schichtmodelle, die meist ziemlich gut funktionieren, selbst bei Berücksichtigung von Teilzeit mit unterschiedlichen Stundenzahlen oder von gesundheitlichen oder familiären Einschränkungen. Es wäre also denkbar, dass man bei der Bahn dort, wo Hunderte oder gar Tausende im selben Bereich arbeiten, die Wünsche abfragt, einen Computer damit füttert und sich anzeigen lässt, ob damit das nötige Arbeitszeitvolumen zu den jeweiligen Zeiten abgedeckt werden kann, oder ob »nachjustiert« werden muss, also zum Beispiel für mehr Frühdienste oder mehr Wochenendschichten geworben werden muss. Andere Branchen schaffen es doch auch, konstante Schichtzeiten anzubieten. Keine Supermarktkette wäre so bekloppt, von allen Vollzeit- und sogar allen Teilzeitkräften zu verlangen, in der einen Woche von 6 bis 15 und in der anderen von 13 bis 22 Uhr zu arbeiten, oder vielleicht am Montag von 6 bis 13, am Dienstag von 15 bis 24, am Mittwoch von 11 bis 16, am Donnerstag von 6 bis 15 und so weiter und so fort.
Aber die Deutsche Bahn erwartet das. Die Dienstpläne von Zugbegleitern bei DB Fernverkehr und bei DB Regio, die ich gesehen habe, sind eine wild hin und her mäandernde, scheinbar regellose Ansammlung von unterschiedlichsten Dienstzeiten – und das in einem Unternehmen, das montags bis freitags von Januar bis Dezember vermutlich zu 99 % dieselben Zugfahrten im Fahrplan hat (falls keine »Generalsanierung« dazwischenkommt) und samstags und sonntags etwas luftigere Fahrpläne aufweist.
Es ist verständlich, dass viele Leute da frühzeitig abwinken und sagen: »Nein danke, da gehe ich lieber zum Discounter an die Kasse, da weiß ich, woran ich bin, und schlafe jeden Abend in meinem Bett.«