rail blog 67 / Heiner Monheim

Bahnhöfe und Haltepunkte – die Nabelschnüre des Bahnsystems

Großartige Historie der Bahnhöfe

Früher wurden Bahnhöfe in Stadt und Land mit viel Aufwand und Liebe gestaltet. Man war stolz auf seine Bahnen und zeigte das mit prominenter Architektur. Große Empfangshallen, große Portale und große Glasgewölbe über den Bahnsteigen waren typisch für die Großstadtbahnhöfe. Zum Großstadtbahnhof gehörten stattliche Gebäude, um das damals nötige stationäre und mobile Personal und die vielen Schalter unterzubringen. Es gab Bahnhofsgaststätten, in großen Bahnhöfen nicht selten nach Klassen getrennt. Neben den Großstadtbahnhöfen standen oft Post- und Telegraphenämter. Die Post wurde ja mit der Bahn befördert in Postzügen oder Postsäcken im Gepäckwagen und es gab eine sinnvolle verkehrliche Symbiose mit dem Postbus. Gepäckaufbewahrung und Stückgut hatten eigene Gebäudeteile mit Schalterdienst. Die meisten Bahnhöfe hatten in der Nachbarschaft auch noch Gütergleise und Güterschuppen oder einen eigenen Güterbahnhof.

Auch die kleinstädtischen und ländlichen Bahnhöfe und Haltepunkte hatten stattliche Gebäude mit einer nach Regionen oft eigenen Architektur, im Stil des Historismus oder Klassizismus. Leider wurden viele Bahnhöfe im Bombenhagel des 2. Weltkriegs zerstört. Danach wurden sie nur noch im nüchternen Stil des schmucklosen Funktionalismus wieder aufgebaut. Zu ländlichen Bahnhöfen gehörten fast immer Güterschuppen, Güterrampen und die Raiffeisentürme für die ländlichen Produkte.

Die Bahnhofstraße war meist eine prominente Adresse mit Hotels und erlesenen Geschäften. Am Bahnhofsplatz trafen sich Bus- und Straßenbahnlinien und sorgten für die sinnvolle Integration von lokalem und regionalem Nahverkehr und Fernverkehr. Oft wurden sie als Schmuckplatz repräsentativ gestaltet mit einem auffälligen Denkmal.

Wellen der Bahnhofszerstörung

Nach den Zerstörungen des Bombenkriegs folgten bald auch planerische Bahnhofszerstörungen. Sie begannen schon Ende der 1950er Jahre mit der Verlegung einiger innenstadtnaher Großstadtbahnhöfe, um Platz für den Autoverkehr zu schaffen. An den meisten Großstadtbahnhöfen wurden die ursprünglich vom ÖPNV dominierten umgebenden Straßen autogerecht ausgebaut. Den ÖPNV und den Fußverkehr schickte man nicht selten unter die Erde. Und strangulierte die Bahnhöfe durch neue Parkplätze, Parkhäuser oder Tiefgaragen. Zum Exzess trieben das die Franzosen mit ihren autogerechten TGV-Bahnhöfen für die neuen Hochgeschwindigkeitsstrecken an peripheren Autobahnen, umgeben von riesigen Autoparkplätzen. Die alten Altstadtbahnhöfe wurden entweder geschlossen und abgerissen oder wurden nur noch im Nahverkehr bedient.

Im ländlichen Raum folgte die immer weiter um sich greifende Schließung von Bahnhöfen im Zuge der schlimmen Stilllegungswellen. Dort verloren die alten Bahnhöfe ihre Funktion. Man ließ sie verkommen, investierte nicht mehr und vernagelte Türen und Fenster. Später nutzte man die abgewrackten Gebäude nicht selten für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylanten in Notunterkünften. Schon die alte Bundesbahn und später noch viel mehr die neue DB AG (DB Imm) versuchte, möglichst viele Bahnhöfe zu verkaufen. Der Rückzug der Güterbahn machte erhebliche Flächen frei für eine immobilienwirtschaftliche Verwertung für bahnfremde Projekte. An das Erfordernis der Verkehrswende und einer Renaissance der Güterbahn dachte damals kaum jemand. Auch viele Eisenbahnersiedlungen wurden verkauft, nachdem die Eisenbahnerfamilien durch Freisetzung den Bezug zur Bahn verloren hatten. Bahnpolitik pervertierte so immer mehr zur Immobilienspekulation. Das schlimmste Projekt dieser Immobilienstrategie wurde dann Stuttgart 21. Aber auch die geplante Verlegung des wichtigen Bahnhofs Hamburg-Altona nach Diebsteich und die geplante Auflassung der Altonaer Nachtzug- und Autoreisezugterminals ist ein primär immobilienwirtschaftlich motiviertes Projekt.

Zukunftsaufgabe: Renaissance der Bahnhöfe

In Zeiten der Klimakrise und angesichts der dringlichen Verkehrswende muß die jahrzehntelange Vernachlässigung und Zerstörung von Bahnhöfen sofort gestoppt werden. Nötig ist angesichts der Notwendigkeit von Hunderten von Bahnstreckenreaktivierungen auch eine neue Bahnhofsstrategie. Für reaktivierte Strecken müssen Konzepte für kleine und mittlere Bahnhöfe entwickelt werden, idealerweise in kommunaler Trägerschaft, mit einer angemessen repräsentativen Architektur und einem sinnvollen Nutzungsprogramm. Gute Beispiele findet man dafür im Schweizer Bahnsystem. Dort sind Bahnhöfe Kristallisationspunkte des öffentlichen Lebens und gut funktionierende Schnittstellen zwischen den verschiedenen Teilsystemen und Netzen des öffentlichen Verkehrs im integralen Taktfahrplan. Die bisherige Autoorientierung der Bahnhöfe für große Park & Ride-Anlagen und Zufahrtstraßen muss beendet werden. Viel wichtiger ist eine gute Bus- und Fahrradanbindung und ein verkehrsberuhigtes Umfeld der Bahnhöfe. Die unsäglichen Unterführungen brauchen Alternativen in Form von ebenerdigen Zugangsmöglicheiten. Nach Möglichkeit müssen die früher oft nur einseitigen Bahnhofszugänge auf die jeweils andere Seite erweitert werden, um dem Fuß- und Radverkehr kurze und optimal verkehrsberuhigte Zugangswege zu bieten. Mittlere und große Bahnhöfe brauchen eigene Radstationen. Bei kleinen Bahnhöfen reicht auch eine gut gestaltete und ausreichend dimensionierte Bike & Ride-Anlage mit modernen digitalen Schließanlagen für sicheres Fahrradabstellen (sog. „Käfiglösung“). Die Bahnhöfe müssen wieder Schnittpunkte des gesamten öffentlichen Verkehrs werden, mit attraktiven Bus- und Straßenbahnhaltstellen und einer repräsentativen Platzgestaltung. Dafür kann das alte Vorbild des üppig begrünten Schmuckplatzes mit dichtem Baumbestand Pate stehen.

Vorsicht geboten ist bei der Nutzungsentwicklung im Bahnhofsgebäude. Nötig ist ein ausreichendes Angebot für den Reisendenbedarf (Zeitungskiosk, Buchladen, Gastronomie). Aber der Bahnhof darf nicht zum Kaufhaus mit Gleisanschluss mutieren, bei dem eilige Fahrgäste Probleme haben, sich durch Menschenmassen zu „schieben“. Deshalb müssen Bahnhofshallen und Bahnsteigzugänge von den Passagierfluss störenden Kioskeinbauten frei gehalten werden.

In Holland kann man sich in der Randstad über moderne Bahnhofsgestaltung informieren. Dort sind in den letzten Jahrzehnten zahlreiche neue Bahnhöfe gebaut worden, teilweise sogar als Kreuzungsbahnhöfe. Oft präsentieren sie Kunst auf dem Bahnhofsplatz und den Bahnsteigen. Und fast immer haben sie als „Transferia“ große Radstationen mit Fahrradverleih und Bike & Ride-Anlagen. Dort ist das Fahrrad das wichtigste An- und Abreiseverkehrsmittel.

Über Prof. Dr. Heiner Monheim

(*1946), Geograf, Verkehrs- und Stadtplaner, seit den 1960er Jahren befasst mit den Themen Flächenbahn, Schienenreaktivierungen, Erhalt des IR, S-Bahnausbau und kleine S-Bahnsysteme, Stadt- Umland-Bahnen, neue Haltepunkte, Güter-Regionalbahnen, Bahnreform 2.0, Kritik der Großprojekte der Hochgeschwindigkeit und Bahnhofsspekulation. Details: www.heinermonheim.de

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