rail blog 66 / Michael Jung

Den Unsinn mit den Halbschranken beenden

Schienengleiche Bahnübergänge gibt es, seitdem es die Eisenbahn gibt. Aber zu Zeiten des großen Eisenbahnbaubooms war der Straßenverkehr vergleichsweise minimal, und die Bahn hatte als das leistungsfähigere Verkehrsmittel natürlich Vorrang, zumal Züge einen längeren Bremsweg haben als früher Kutschen und heute Autos.

Ebenerdige Querungen von Bahn und Straße wurden mit zunehmenden Verkehr auf Schiene und Straße besonders in Ballungsgebieten durch Brücken und Unterführungen ersetzt. Daneben wurden alle Bahnübergänge an Hauptstrecken durch Vollschranken mit Gittern – damit keine Hunde und Kinder unter der Schranke durchlaufen konnten – gesichert. Diese wurden von einem Schrankenwärter bedient und überwacht. Im Rahmen der großen Bahnrationalisierung ab den 60er Jahren wurden Bahnübergänge in zunehmenden Maße ferngesteuert oder automatisiert, der klassische Schrankenwärter wurde abgeschafft. Da somit niemand mehr den Bahnübergang im Blick hatte und bei einem auf den Bahngleisen liegengebliebenen Auto den Fahrdienstleiter schnell informieren konnte, der wiederum den Zug im besten Fall noch stoppen konnte, kam irgendein Schlauberger auf die Idee, Halbschranken einzubauen.

Sinn der Halbschranken war, den Insassen eines auf dem Bahnübergang liegengebliebenen Fahrzeugs die schnelle Rettung aus dem Gleisbereich zu ermöglichen. In der Praxis führte es aber dazu, dass gerade bei jugendlichen Autofahrern es zum Sport wurde, im Slalom die Halbschranken zu umfahren, zumal diese durch die Automatisierung zum Teil lange vor der Vorbeifahrt des Zuges geschlossen wurden. Diese Art von „Mutprobe“ wurde aber der Erhöhung der Streckengeschwindigkeit und insbesondere bei Strecken mit bogenschnellem Fahren bald zu einer Übung mit tödlichem Ausgang.

So kamen erst vor wenigen Tagen auf der Strecke von Hannover nach Bremen, bei Nienburg, drei Jugendliche beim Umfahren einer geschlossenen Halbschranke ums Leben. Sicher nicht der erste Unfall dieser Art in diesem Jahr. Daher gehören die Halbschranken umgehend durch Vollschranken ersetzt oder zumindest durch eine Verlängerung aus Kunststoff, die Sollbruchstellen für den Notfall hat, nachgerüstet. Dies könnte mit ziemlicher Sicherheit solchen Leichtsinnsmanövern einen Riegel vorschieben. Denn Lackkratzer oder Beulen an ihren schicken Autos wollen die Autofahrer, die Halbschranken umfahren, garantiert nicht riskieren. Gleichermaßen würden dadurch Fußgänger, die nur auf ihre Smartphones starren und sich die Ohren zugestöpselt haben, am unbeabsichtigten Queren der Bahngleise gehindert. Diese Nachrüstung kostet wenig und könnte nicht nur Leben retten, sondern nebenbei auch das Image der Bahn deutlich verbessern, denn Unfälle an Bahnübergängen werden, auch wenn sie von Autofahrern und Fußgängern verursacht werden, in der medialen Berichterstattung immer der Bahn angelastet.

Über Michael Jung

Jahrgang 1950, Dipl.-Volksw., arbeitete zuerst in einem Großkonzern der Mineralölwirtschaft und dann 28 Jahre bei einer deutschen Großbank, davon 10 Jahre lang im Bereich Finanzierung von Eisenbahn- und Nahverkehrsprojekten weltweit. Seit 8 Jahren ist er Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock-Altona e.V., die sich für den Erhalt und Modernisierung des Fern- und Regionalbahnhofs Altona am jetzigen Standort einsetzt.

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