rail blog 76 / Joachim Holstein

Sperriges Reisegepäck

Im Railblog 55 hielt Michael Jung ein Plädoyer für die Autoreisezüge. Ich habe von 1996 bis 2016 auf diesen Zügen gearbeitet, als das Netz schon ziemlich geschrumpft war; ich habe also nicht mehr Zeit erlebt, in denen es in der alten BRD sage und schreibe 23 Verladebahnhöfe und mehrere Hundert Verbindungen ins In- und Ausland gab, von denen viele auch von Reisenden ohne Auto benutzt werden konnten.

1983 gab es ein legendäres Werbeduell zwischen der DB und Fiat. Die DB begann mit dem Foto der TEE-Lok 103 in einem Autohaus und dem Text »Na endlich, der Zweitwagen, den man sich leisten kann«. Fiat konterte mit der Fotomontage dieser Lok hinter einem parkenden Panda und dem Hinweis, die Lok brauche »einen Bahnhof zum Parken« und 71 Sekunden von 0 auf 100 (Panda:18,5 Sekunden). Die Bundesbahn setzte auf einen Schelmen anderthalbe und einen Panda aufs Oberdeck eines Autoreisezuges: »Wir befördern auch sperriges Reisegepäck«.

Auch zu meiner Zeit gehörten Reisende mit Kleinwagen, die nicht auf deutschen Autobahnen zwischen Rasern und Lkws eingeklemmt werden wollten, zur Kundschaft. Spektakulärer waren natürlich Ferraris und Bentleys, Citroën DS und jede Menge Harleys. Die meisten Fahrzeuge waren aber schlichte Familienkutschen bis hin zum Bulli, weil es einfach praktisch war, die eigene Kiste zuhause bis unters Dach und darüber hinaus vollzupacken, ein paar Dutzend oder ein paar Hundert Kilometer nach Hamburg-Altona zu fahren, um am Tag danach mit dem Fahrzeug 800 bis 1.500 km weiter südlich vom Zug zu fahren und ausgeruht das Urlaubsziel zu erreichen.

Die DB schaffte diese Züge ab und behauptete, die Leute würden doch viel lieber fliegen und am Urlaubsort einen Mietwagen nehmen. Darüber konnten diese Reisenden nur den Kopf schütteln, denn der Aufpreis für 3 Kubikmeter Urlaubsgepäck hätte vermutlich mehr gekostet als ein neuer Kombi, und daher fuhr man natürlich lieber zur Autoverladestation als zum Flughafen.

Heute ist auch so gut wie vergessen, dass das allererste Konzept für den Smart vorsah, dass dieser Kleinstwagen direkt vom Bahnsteig oder von einer Rampe aus quer in Züge einparken und so Langstrecken zurücklegen könnte.

Aktuell hingegen ist die Reichweitendebatte bei Elektroautos. Schon vor mehr als einem Jahrzehnt schlugen Bahnbeschäftigte und Kunden vor, die Autotransportwagen mit Steckdosen auszustatten, damit man quasi mit einer Akkuladung von Dänemark in die Pyrenäen oder die Toscana gelangen könnte, diese Idee stieß aber auf taube Ohren. Und 2023 bringt es die DB fertig, in Hamburg-Eidelstedt ein Autozugterminal zu planen, an dem es keine Ladestation geben soll – absurd!

Über Joachim Holstein

(*1960) arbeitete von 1996 bis 2017 als Steward in Nacht- und Autozügen der DB, war von 2006 bis zur Einstellung dieser Verkehre Betriebsrat der DB European Railservice GmbH und zuletzt Sprecher des Wirtschaftsausschusses. Mitbegründer der Initiative zur Rettung des Nachtzuges Hamburg-Paris (2008; »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«) und des europäischen Netzwerks für Nachtzüge »Back on Track« (2015; https://back-on-track.eu/de/); Weiteres unter www.nachtzug-bleibt.eu

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