rail blog 5 / Andreas Kleber

Expressgut der BUNDESBAHN – Hilfe in der Not

Kann man sich vor dem Hintergrund der vielen Paket-, Ausliefer-, und Zusteller-Dienste, die heute unsere Straßen verstopfen, noch vorstellen, dass in früheren Zeiten vieles davon auf der Schiene stattgefunden hat? Ähnlich schnell. Oft schneller. Auf alle Fälle zuverlässiger. Und vor allem: umwelt- und klimafreundlich.

Expressgut: War das nicht eine im Wortsinne ZÜGIGE und sichere Beförderung in den Gepäckwagen oder -abteilen auf der Schiene? Mit Ausnahme weniger, meist exklusiver Züge (im Kursbuch als „oG“ gekennzeichnet) war damit eine weit verzweigte landesweite Beförderung nicht sperriger Güter in allen übrigen Zügen vorhanden: ob von Flensburg bis Mittenwald, Norddeich bis Lam.

Einem Saulgauer [in Oberschwaben] wurde an einem Donnerstag  gegen 14 Uhr der Kotflügel beschädigt: das Autohaus rief in Bochum (bei Opel) an; am nächsten Freitagmorgen gegen 9.30 war der Kotflügel am heimischen Bahnhof; am Mittag konnte er sein repariertes Auto wieder in Empfang nehmen.

75 Prozent der Frischwaren für die gehobene Gastronomie wurden per BAHN-EXPRESS befördert: Derbekannte Hamburger Fischlieferant in Altona machte zusammen mit der Bundesbahn-Direktion (BD) Hamburg Reklame, wonach frische Seefische und Meeresfrüchte innerhalb von 24 Stunden nach der Bestellung an jedem Ort (Bahnhof) per Express ankommen. Das war noch bis Mitte der 80er Jahre.

Auch unser mittelständischer oberschwäbischer Hotel-Betrieb bezog die gastronomischen Waren ausschließlich per Bahn-Express: Mein Vater machte 1971 am SO nach dem Mittagservice die Bestellung – per POSTKARTE (für 10 Pf.), die in den Briefkasten ins nicht weit entfernte Postamt eingeworfen wurde – und am DI kam die Ware an: Sie wurde über Nacht im D 76 Kiel-Lindau bis Aulendorf befördert und dort in den Schienenbus nach Saulgau umgeladen. Vergleichbar klappte es nah und regional: Der Bodenseefischer R.M. meldete gegen 8.30 Uhr seinen Fang, brachte die Bestellung zum Friedrichshafener Hafenbahnhof gegen 09.45; mit dem Eilzug nach Frankfurt wurde diese in Aulendorf bahnsteiggleich in DEN Eilzug München-Freiburg umgeladen: Ankunft in Saulgau 10.52! Und mittags stand auf der Karte „Felchen Müllerin Art (Butter, Zitrone und Petersilie)“ … Frischer konnte man es doch nicht haben?

Der von uns verursachte jährliche Expressgutumsatz betrug ca. 80.000 DM pro Jahr.

*Am 21.01.1978 war der 70. Geburtstag von Herrn Oberst H. von S., Chef der Hohenzollerischen Hofkammer, mit S.H. der Fürst und erlauchten Gästen: Sein Lieblingsgericht: Coquilles St. Jacques mit Sauce Hollandaise nappiert auf Blattspinat. FR abends kam der Küchenchef: Die Coquilles sind noch nicht da… habe ich vergessen diese zu bestellen? Auch noch für diesen Abend? Die Büros in Altona waren nicht mehr besetzt: Der Pförtner gab mir die Privatnummer des Verkäufers, den wir schon jahrelang kannten; ich schilderte ihm mein Problem. Durch ihn wurde die Ware bereitgestellt und zum Bahnhof ALTONA gebracht: Wobei diese in ca. 24 Std. in unsrer Küche sein sollten! Er rief bei der Expressgut Abfertigung Altona an; ich setzte mich mit denen in Verbindung: Wie die Ware nach Oberschwaben kommt? Es kam nur D 593 nach Stgt in Frage: Der hatte bis Lauda am Schluss des Zuges zwei Kurswagen nach Lindau; der letzte ein BDm [ein Kombiwagen Gepäck/Reiseabteil], in dem die Coquilles ihr Ziel erreichen können. Der diensthabende Chef der Altonaer Expressgutabfertigung kannte sich aus!

Abfahrt Altona 07.34; Aulendorf an 17.57! Von uns aus geht das klar!

Der Apéritif der Gäste um 18.30 Uhr wurde etwas hinausgezögert, damit das Gericht um 19.45/20.00 serviert werden konnte.

WÄRE ALL DAS HEUTE NOCH MÖGLICH?

Ein Kommentar zu “rail blog 5 / Andreas Kleber”

  1. Lieber Herr Kleber, Michael. Joachim und alle die vielen weiteren Routiniers auf der Schiene, welche hier Eisenbahngeschichte beschreiben:
    DANKE, denn hier steckt viel mehr Sinnvolleres mit Zukunftsgestaltendem drin, als in manchen Zeitungen mit deren reißerischem Papierverschwendungskram.
    Bitte weitermachen.
    Besten Gruß aus Altona

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