Teil 3 des fünfteiligen Beitrags zur Rolle der Kirchen für eine umweltorientierte Mobilitätspolitik.
Hier geht es zu Teil 1 und Teil 2
Aus heutiger Sicht gibt es mehrere strategische Positionierungen, mit denen die Kirchen erheblichen Einfluss auf die künftige Verkehrsentwicklung nehmen könnten. Die beachtliche »Marktmacht« der Kirchen und kirchenangehörigen Organisationen und ihres Beschaffungswesens kann genutzt werden, Einfluss auf das Marktverhalten der Anbieter von Lebensmitteln, Verbrauchsmaterialien, Reinigungsmitteln, Verkehrsmitteln und Verkehrsleistungen zu nehmen. Im Mobilitätsbereich betrifft das die verkehrliche Erschließung der Gebäude mit Zufahrten, Parkraum, Radständern und die Umfeldgestaltung mit Bäumen und Grünflächen. Und es betrifft die Beschaffung und den Betrieb von Fahrzeugen, von Fahrkarten und das Dienstreisemanagement.
Die Relevanz solcher Überlegungen ergibt sich aus der einzigartigen Größe der Kirchen als direkter und indirekter Arbeitgeber, als Mitgliederorganisation und als einer der größten Auftraggeber für die relevanten Wirtschaftsgüter (Betriebsmittel, Fahrzeuge, Baumaßnahmen, Energie, Handwerksleistungen). Ob sie diese potenzielle Marktmacht im Sinne der Nachhaltigkeit nutzen oder ob sie wie viele andere Betriebe immer nur nach Preiskategorien (das billigste Angebot) aussuchen, ist die zentrale Frage. Die Kirchen haben jedenfalls das Potenzial für eigene Pilotprojekte, eine kritische Beschaffungspolitik, eine kreative Wirtschaftspraxis, eigene, kirchennahe Start-Up-Bewegungen und die Rolle als Innovationsinkubator und Risikokapitalgeber. Früher sind viele gesellschaftliche und technische Innovationen, vor allem im Sozial- und Gesundheitsbereich, der Landwirtschaft und der Wissenschaft im kirchlichen Kontext entstanden. Kirchen waren immer eine wichtige Bildungsinstitution. Das Innovationspotenzial sollte in Zukunft wieder intensiver genutzt werden.
- Bewerben und Trainieren nachhaltiger Verhaltensweisen: Die Kirchen haben zu ihren Mitarbeitern und Gemeindemitgliedern nicht nur ein zufälliges, beiläufiges Verhältnis, sie sind ein ethisch verpflichteter »Tendenzbetrieb« mit klaren christlichen Grundsätzen. Daraus lassen sich für das professionelle wie private Verhalten ihrer Mitarbeiter und Mitglieder besondere Erwartungen ableiten, hinsichtlich des privaten und professionellen Konsumverhaltens und Verkehrsverhaltens. Von einem Kirchenmitarbeiter darf man eine eher verhaltene, rücksichtsvolle Fahrweise erwarten, wenn er mit dem Auto unterwegs ist. Man darf erwarten, dass er weniger Plastikmüll produziert, weniger Energie verschwendet und sich für einen nachhaltigen Einkauf engagiert. Damit er dies tut, kann man ihn entsprechend schulen und motivieren, zum Beispiel die Kfz-Fahrer im Eco-Drive, die Reisekostenabrechner in ÖPNV-Tarifen, die Kantinenorganisatoren in gesunder Ernährung, die Gesundheitsberater im Training für aktive Bewegung, die Gebäudemanager im Energiesparen oder die Immobilienverwalter im sensiblen Standortbewerten.
- Downsizing und Greening der Kfz-Flotten: Mit dem bevorzugtenKauf kleiner, emissionsarmer PKW und Nutzfahrzeuge kann da, wo tatsächlich noch ein Bedarf für Kfz-Einsatz besteht, die Kirche ihren ökologischen Fußabdruck minimieren und mit ihrem Bestellerverhalten massiv auf die Autoindustrie einwirken, wenn massenhaft kleine und vor allem E-Autos gekauft werden und die Kirchenoberen demonstrativ große Dreckschleudern, denn solche sind derzeit noch die meisten »Staatskarossen«, meiden. Noch schöner ist natürlich, wenn das Spitzenpersonal selber zu Fuß, mit dem Rad und dem ÖV unterwegs ist und nur noch selten fliegt.
- Kirchliches Car- und Ride-Sharing: Sehr viele Emissionen und Kosten können die Kirchen sparen, wenn sie möglichst viele Kfz in das betriebliche Car-Sharing integrieren. Das steigert die Effizienz der Fahrzeugflotten. Und für einen erheblichen Teil der kirchlichen Mitarbeiter ist auch die Teilnahme am betrieblichen oder überbetrieblichen Ride-Sharing eine Option, wenn die Kirchen dafür eigene Apps entwickeln lassen und in den Betrieben entsprechend werben, vielleicht auch Prämien für dieses vernünftige Verhalten einsetzen.
- Ausbau der grünen Flotten: Die Kirchen können viel bewirken, wenn sie ihre Pfarreien, Gemeindehäuser und Folgeeinrichtungen angemessen mit Dienstfahrrädern und darunter möglichst oft auch Dienst- und Lastpedelecs ausstatten. Dafür können sie die Option des Fahrradleasing nutzen. Und Mitarbeitern, die lieber das eigene Fahrrad nutzen, können sie vergünstigte Fahrräder inclusive Pedelecs anbieten. Hinzu kommt gegebenenfalls die Bereitstellung von ausreichend Leihfahrrädern durch entsprechende Abonnements mit den örtlichen oder überregionalen Leihradanbietern. Die Fahrradnutzung ist wichtig für Außendienstler und MitarbeiterInnen, deren Arbeitswege fahrrad- und pedelecrelevante Entfernungen haben.
- Beteiligung an Wettbewerben: Natürlich machen Verhaltensänderungen am meisten Spaß, wenn sie in der Gruppe gemeinsam praktiziert werden. Dafür eignen sich mit Bezug zum Fahrrad die regelmäßigen Aktionen »Stadtradeln« und »Mit dem Fahrrad zur Arbeit« in Kooperation mit dem ADFC und den Krankenkassen. Deren Beteiligung beruht auf der hohen Gesundheitsrelevanz des Radfahrens und Gehens. Da die Kirchen mit ihren Kliniken wichtige Träger der Gesundheitswirtschaft sind, sollten sie für solche Zusammenhänge besonders motiviert sein.
- Kirche und ÖPNV – Großkundenrabatte für attraktive Tarife: Mit ihrem riesigen Beschäftigtenvolumen sind Kirchen eigentlich in einer sehr guten Verhandlungsposition für das Aushandeln von Großkundenrabatten bei der Bahn und den regionalen Verkehrsverbünden. Mit System genutzt haben das bislang nur die kirchlichen Hochschulen, die für ihre Studierenden Semestertickets ausgehandelt haben. Aber das Verhandlungsmandat könnte sehr viel weiter gehen, wenn die Kirchen sich als »Zwischenhändler« für günstige Tickets positionieren, zunächst vor allem für die vielen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter. Auch nachdem mit dem Deutschland-Ticket für 49 € im Monat die Tarife endlich deutlich vereinfacht und verbilligt wurden, bleibt für die Kirchen Spielraum, weitergehende Vergünstigungen für die eigenen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter auszuhandeln und auch als Zwischenhändler für ihre Gemeindemitglieder aufzutreten. Und das nicht nur für den Nahverkehr. Die Bahn würde ziemlich viel rechnen müssen, wenn die Kirchen bei der DB 3 bis 4 Mio. BC 100 zum Sonderpreis bestellen würden, als Flatrate-Generalabo für ganz Deutschland im Fern- und Nahverkehr.
- Kirche als Bauherr: Natürlich kann und soll die Kirche in allen diesen Feldern mit gutem Beispiel vorangehen. Zum Schwur kommt es dann, wenn die Kirche baut. Immerhin gibt es diverse kirchengesteuerte Wohnungsbaugesellschaften, zudem baut die Kirche für ihre vielen Sozial- und Gesundheitseinrichtungen und ihre Gemeindehäuser und Kirchen. Und immer wird dabei auch die Frage der Erreichbarkeit und verkehrlichen Erschließung akut. Zunächst in der Standortplanung. Soll das Neubauvorhaben eher autoorientiert auf der grünen Wiese oder städtebaulich integriert im Bestand realisiert werden? Werden die künftigen Mobilitätskosten und Umweltbelastungen angemessen gegen die j.w.d. oft günstigeren Grundstückspreise abgewogen? Und dann geht es auch um die verkehrlichen Details. Wie viel Kfz-Stellplätze will die Kirche anbieten, wie viel Fahrradstellplätze, wie breit werden die Gehwege und Zufahrten, beteiligt sich die Kirche gegebenenfalls in einem PPP-Modell an den Kosten für eine verbesserte ÖPNV-Anbindung? Und wie gestaltet sie »ihre« Haltestelle(n)? Wie ist das Verhältnis von versiegelten Flächen zu Grünflächen? Wie viele Bäume pflanzt die Kirche? Mitautoreduzierten Erschließungskonzepten können die Kirchen mit ihrer Marktmacht Wegbereiter für neue, ökologische Wege sein, wie sie das in der Energiepolitik und Landwirtschaftspolitik durchaus lange Zeit waren.
- Kirche als Multiplikator: Die Kirchen haben eine beträchtliche Medienmacht. An der Basis gibt es die typischen Kirchenzeitungen und Gemeindeblätter. Daneben gibt es regionale und überregionale Kirchenzeitungen beziehungsweise Zeitungen, die sich besonders dem christlichen Ethos verbunden fühlen. Hier bieten sich die richtigen Plattformen für Reportagen über gute Beispiele, aber auch die publizistische Behandlung gravierender Umwelt- und Verkehrsprobleme und die Darstellung von Lösungsoptionen. Und natürlich gibt es auch die klassischen kirchlichen Kommunikationskanäle der sonntäglichen Predigten.
Gesellschaftliche und politische Macht als »Pfund«: Letztlich lassen sich diese vielen Ansatzpunkte kirchlichen Handelns bündeln zu einer beachtlichen direkten und indirekten politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Macht. Diese Macht haben die Kirchen aufgrund ihrer »Ubiquität« auf allen Ebenen, lokal, regional, national und auch global gegenüber der Weltgemeinschaft, gegebenenfalls in engem Schulterschluss mit allen anderen Kirchen. Während sich die Umweltbewegungen oft nur »am Katzentisch« der Politik und Administration artikulieren können, haben die Kirchen trotz aller Säkularisierung weiterhin einen prominenten Zugang zur Politik auf allen Ebenen aufgrund ihres trotz aller Missbrauchsskandale immer noch hohen gesellschaftlichen Ansehens. In allen moralisch-ethischen Fragen (und eine solche ist die Umweltfrage allemal) sind die Kirchen legitimiert, ihre Sorgen um die Bewahrung der Schöpfung und den Erhalt menschlichen Lebens zu artikulieren und konkrete Vorschläge für nachhaltige Entwicklungsmodelle zu machen.
Ganz in diesem Sinne ist ja auch die Enzyklika »Laudato si‘« von Papst Franziskus zu verstehen, als Appell an die Mächtigen in der Welt, mit ihrer Macht im Sinne der Umwelt und Gerechtigkeit verantwortungsvoll umzugehen.
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