Bahnen und Tourismus (4)

Reisen als bürgerliches Vergnügen

Im Zeitalter der Industrialisierung erreichte das Bürgertum einen beachtlichen Wohlstand. Während bis dahin Vergnügungs-, Bildungs- und Erholungsreisen das Privileg des begüterten Adels waren, konnten sich jetzt viel mehr Menschen eine längere Reise leisten.

Gleichzeitig wuchs wegen der starken Umweltbelastungen durch die Industrialisierung und wegen des rasanten Städtewachstums der Industriestädte das Gesundheits- und Umweltbewusstsein. Die Reise in die »Sommerfrische« wurde zu einer immer weiter verbreiteten Gewohnheit in der bürgerlichen Mittelklasse.

Hinzu kam die Faszination für ferne Landschaften und Städte, insbesondere wenn diese mit eindrucksvollen landschaftlichen Besonderheiten verbunden waren: Küsten, Flusstäler und besonders Berglandschaften mit hohen Gipfeln übten eine große Faszination auf die Bahnreisenden mit »Fernweh« aus. Daraus entwickelte sich ein schnell wachsender neuer Wirtschaftszweig, der Tourismus.

Einziges brauchbares Verkehrsmittel für die innereuropäische Mobilität von Touristen war damals die Bahn. So wurde der Tourismus zu einem weiteren wichtigen Motiv für den Bahnnetzausbau. Anzubinden waren alle touristisch bedeutsamen Orte wie die vielen Kur- und Badeorte, Kongress- und Messeorte und die touristisch besonders reizvollen Landschaften. Sie wurden oft mit Stichstrecken erschlossen, wenn hohe Berge den Bau durchgängiger Netze verhinderten.

Touristische Zugangebote

Für Touristen wurden besondere Reiseangebote entwickelt:

  • der Kurswagen, der in den jeweiligen Bahnknoten so rangiert wurde, dass kleinere Kurorte auf direktem Wege umsteigefrei zu erreichen waren
  • der Nachtzug mit Schlafwagen (später dann auch Liegewagen), der mit hohem Komfort die Reisezeit für die langen, internationalen Verbindungen verkürzen und die Reise selber schon zu einem Urlaubserlebnis machen sollte
  • die internationalen Luxus- und Fernzugverbindungen, die grenzüberschreitend die großen Metropolen untereinander, aber auch die wichtigen Zieldestinationen des damaligen Tourismus verbanden. Zu diesen Zügen gehörten erlesene Gastronomie, eigene Bibliotheken und Lesesalons sowie spezielle Rauchersalons.

Spezieller Service für die Fernzüge

Damals überzeugten solche Züge ihre Kunden mit einem hohen und personalintensiven Serviceangebot, zu dem natürlich auch an den Bahnhöfen komplementäre Dienstleistungen wie Gastronomie, Hotels, Salons und Gepäckträger gehörten.

Dieser luxuriöse Beigeschmack des bürgerlichen Bahnreisens animierte seinerzeit viele Künstler, in ihren Bildern, Musikstücken, später auch Fotoserien und Filmen die Bahn als faszinierendes Medium zu nutzen, wovon im nächsten Beitrag die Rede sein wird.

Ergänzt wurden diese Angebote durch Busnetze, die auch abseits der Bahnstrecken die Fläche für die Touristen erschlossen. Neben den damals in Deutschland, Österreich und der Schweiz flächendeckenden Post- und Bahnbusnetzen gab es in den Hochgebirgen spektakuläre Buslinien mit gläsernen Dächern.

Über Prof. Dr. Heiner Monheim

(*1946), Geograf, Verkehrs- und Stadtplaner, seit den 1960er Jahren befasst mit den Themen Flächenbahn, Schienenreaktivierungen, Erhalt des IR, S-Bahnausbau und kleine S-Bahnsysteme, Stadt- Umland-Bahnen, neue Haltepunkte, Güter-Regionalbahnen, Bahnreform 2.0, Kritik der Großprojekte der Hochgeschwindigkeit und Bahnhofsspekulation. Details: www.heinermonheim.de

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