rail blog 264 / Michael Jung

Schein und Wirklichkeit

Wenn man ein wenig im Netz surft, findet man manchmal interessante Dokumente, die eher nicht für ein breiteres Publikum bestimmt sind. So eine professionell gestaltete 150-seitige Präsentation, genannt „Driver of a green mobility transition, Deutsche Bahn Autumn Roadshow 2023“ für Investoren, die die Anleihen der Deutsche Bahn AG kaufen sollen. Darin hängt sich die DB als weltweit aufgestellter Transportkonzern ein wunderbar grünes Mäntelchen um. So heißt es gleich auf der zweiten Seite „Shifting traffic to rail is at the core of our Strong Rail strategy“. Gleich zwei Lügen in einem Satz. Weder ist es der DB gelungen, zusätzlichen Verkehr auf die Schiene zu bringen, noch hat die DB eine Strategie, dies künftig zu tun. Der Satz ist vielmehr eine verhunzte Übersetzung des Programms „Starke Schiene“, in dem auf Druck der Politik für 2030 Volumenziele für den Eisenbahnpersonen- und -güterverkehr vorgegeben werden, von denen man schon heute weiß, dass sie angesichts der desolaten Lage des Konzerns völlig unrealistisch sind. Fakt ist, dass 2022 und wohl auch noch in der ersten Hälfte von 2023 die DB mehr als 50% ihres Umsatzes mit Nichteisenbahn-Aktivitäten erzielte.

Wenn die Realität nicht so traurig wäre, könnte man solchen vollmundigen Verkaufssprüchen wie „We will continue the success story of rail in Germany with full support of the Government“ ein Schmunzeln abgewinnen. Nur wurden gerade in der mittelfristigen Finanzplanung die Mittel für die Netzsanierung von 45 auf 27 Mrd. Euro zusammengestrichen. Unter Beibehaltung des Straßenbauetats wurden die Kürzungen im Verkehrsetat allein bei den Mitteln für die Bahn vorgenommen. Von einer Gleichdotierung zwischen Schiene und Straße kann lange keine Rede mehr sein. So wird den Investoren erzählt, im Haushalt 2024 seien für die Bahn 24 Mrd. veranschlagt – effektiv sind es jetzt nur 18 Mrd. Euro – und weitere 12,5 Mrd. Euro kämen mittels einer Eigenkapitalerhöhung für die DB. Zur Zeit ist aber nur noch von 5 Mrd. Euro Eigenkapitalerhöhung die Rede.

Als nächstes wird die Digitalisierungs-Story aufgetischt: durch die Umstellung der Signalisierung auf das einheitliche European Train Control System (ETCS) ohne ortsfeste Signale mit geschwindigkeitsabhängigen Blockabständen würde es 30 % mehr Kapazität im Bestandsnetz geben. Leider sprechen alle Erfahrungen in der Schweiz, die schon frühzeitig auf ETCS umgestellt hat, dagegen. Eher verringert ETCS noch die Netzkapazität.

Als nächstes wieder ein vollmundiges Versprechen, diesmal zur Modernisierung und Komfortsteigerung der Bahnhöfe: „Large-scale modernization of stations throughout Germany and upgrading with better comfort and a wider range of services for passengers“. Davon merkt der Bahnreisende in Deutschland nun leider gar nichts. Einen modernen kundenfreundlichen Bahnhof wie den Wiener Hauptbahnhof sucht man in Deutschland vergeblich. Die großen Bahnhöfe verkommen immer mehr zu Fressmeilen mit den Standardketten, die Sauberkeit lässt zu wünschen übrig, Fahrstühle und Rolltreppen funktionieren nicht, beheizte/klimatisierte Warteräume ohne Konsumzwang sind Fehlanzeige. Als besonders krasse Negativbeispiele sind die auch noch mit Taubenkot verdreckten Bahnhöfe Hamburg Hauptbahnhof und Hamburg Altona (dort trieft nach Starkregen das Wasser von der Decke) zu nennen.

Ganz trübe sieht es mit der Bahnhofsqualität auf dem flachen Land, aber auch bei den S-Bahnhöfen aus. In Hamburg gibt es mindestens zehn S-Bahnhöfe/Haltepunkte, an denen seit Jahren die Bauarbeiten nicht abgeschlossen sind: Lose Kabel hängen von der Decke, die Beleuchtung ist defekt, Bahnsteigdächer sind entweder undicht oder viel zu kurz, im Bahnsteigbelag gibt es Stolperfallen und so weiter. Auf Nachfrage bei der DB wird das Jammerlied hervorgezogen, man hätte keine Baufirmen, die die angefangenen Arbeiten zu Ende bringen würden, es würden Ersatzteile fehlen et cetera. Gleichzeitig werden aber Milliarden in prestigebehafte Bahnhofsbauten (Stuttgart 21, München Hbf, Hamburg-Diebsteich) versenkt.

Über Michael Jung

Jahrgang 1950, Dipl.-Volksw., arbeitete zuerst in einem Großkonzern der Mineralölwirtschaft und dann 28 Jahre bei einer deutschen Großbank, davon 10 Jahre lang im Bereich Finanzierung von Eisenbahn- und Nahverkehrsprojekten weltweit. Seit 8 Jahren ist er Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock-Altona e.V., die sich für den Erhalt und Modernisierung des Fern- und Regionalbahnhofs Altona am jetzigen Standort einsetzt.

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