Ten Years After
Bei Musikfans meiner Generation und den noch etwas früher Geborenen macht es bei »Ten Years After« wahrscheinlich sofort »klick«, und verschwommene Erinnerungen an Woodstock ziehen vor dem inneren Auge vorbei, weil die gleichnamige britische Bluesrock-Band im Konzertfilm und auf dem Dreifachalbum mit »I’m going home« vertreten ist.
Unter dem Motto »Zehn Jahre danach« soll hier aber in loser Folge auf Ereignisse eingegangen werden, die mit der Bahn und speziell mit Nachtzügen zu tun haben. 2014 war das Jahr, in dem die DB die große Axt ans Nachtzugnetz legte, ohne allerdings schon zu kommunizieren, dass man 2016 komplett Schluss machen wolle. Im Gegenteil: Es wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich um die Weiterentwicklung des Nachtzugnetzes kümmern sollte. Wir trauten den Herrschaften und der Dame an der Spitze von DB Fernverkehr aber nicht von hier bis zur Abteiltür – und wir sollten leider Recht behalten.
Einige von uns waren schon Jahre vorher aktiv geworden, allen voran der langjährige Hamburger Betriebsratsvorsitzende Peter Dreller, der auch dem Gesamtbetriebsrat vorsaß. Schon 1997, kurz nachdem ich bei der Bahn – konkret: bei der Mitropa – angefangen hatte, stand der Nachtverkehr auf der Kippe, und der Konzern warb dafür, dass man in den Tagbereich wechseln möge, der damals noch ebenfalls von der Mitropa betrieben wurde, die im Westen die Nachfolge der DSG angetreten hatte.
Einige Kolleginnen und Kollegen probierten das aus und kutschierten alleine in Bordbistro eines Interregio oder mit mehreren zusammen in den »Küchen« der ICEs durch die Gegend. Küchen in Anführungszeichen, denn bekanntlich wird in den ICEs nicht gekocht und nicht gebraten, sondern es werden Tüten aufgerissen und in die Mikrowelle oder in den Steamer gestellt. Man war ja beim »Unternehmen Zukunft« und nicht bei der tschechischen JLV oder der ungarischen MÁV, bei denen richtiges Essen in einem richtigen Speisewagen eine Frage der Ehre und eine des Prestiges war und ist.
Aber auch die Arbeitszeiten waren im Tagbereich für unsere Personale derart unattraktiv, dass so gut wie niemand wechseln wollte: um die Vollzeitstunden zu erreichen, musste man dort tatsächlich an sechs Tagen in der Woche unterwegs sein, zu unterschiedlichsten Zeiten, und vielleicht hieß es: nach zweieinhalb Stunden in Kassel runter vom Zug und nach einer halben Stunde Wartezeit in einem anderen ICE die gerade abgestiegene Crew ablösen und zurück nach Hamburg fahren, Feierabend nach nur fünfeinhalb Stunden plus Vor- und Nachlauf.
Also verteidigten wir die Nachtzüge mit Zähnen und Klauen, und im Falle von Peter Dreller auch mit derart spitzer Zunge, dass man ihm keinesfalls erlauben wollte, über das Erreichen des gesetzlichen Rentenalters hinaus noch weiter in der Firma und im Amt zu bleiben, um die laufenden Tarifverhandlungen noch bis zum Abschluss mitgestalten zu können. (Bei Herrn Grube sah das später ganz anders aus, ihm bot man eine Vertragsverlängerung bis kurz vor den 70. Geburtstag an.)
Aber das bedeutete zugleich, dass für ihn keine Weisungsgebundenheit und keine Friedenspflicht mehr galt. Er setzte sich im Unruhestand einfach weiter für seine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen ein, und wenn die Deutsche Bahn dem Norddeutschen Rundfunk verbot, ein Interview im Hamburger Hauptbahnhof zu drehen (hat gerade jemand »Behinderung der Pressefreiheit« gesagt?), dann drehte der NDR eben auf der Straßenbrücke über den Bahnsteigen, und zwar einen Tag früher, damit das Interview in der Sendung gezeigt werden konnte, die kurz vor Abfahrt des – vorläufig – letzten Nachtzuges lief und mit dem Hinweis endete, man könne sich ja noch zum Hauptbahnhof begeben, um live dabei zu sein.
Das war 2008, und unser Slogan lautete »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«. Unser Transparent trugen nicht wir selber (wir kannten ja die Repressionsmaschinerie des DB-Konzerns), sondern Parlamentsabgeordnete der Linkspartei. Das half.
Zwei Jahre später war der Nachtzug von Hamburg nach Paris wieder da, fuhr jetzt aber nicht mehr über Bremen und Dortmund, sondern über Mannheim und wurde in Hannover mit Berlin-Paris und in Baden mit München-Paris gekuppelt. Und damit bin ich im heutigen Blogbeitrag denn auch 2014 angekommen. Da gab die DB im Sommer völlig überraschend bekannt, dass der Nachtzug nach Kopenhagen Anfang November gestrichen würde, also nicht zum Fahrplanwechsel, sondern sechs Wochen früher. Wer schon gebucht hatte, schaute in die Röhre. Die Nachricht erschien erstmals irgendwo auf einem Social-Media-Kanal der DB als Antwort auf eine Kundenfrage, und der Konzern begründete die vorfristige Streichung allen Ernstes damit, dass die Buchungszahlen im November und Anfang Dezember sehr niedrig seien. Ja logisch – das ist jedes Jahr die schwächste Zeit, und aus genau diesem Grunde wissen die Dänen, dass sie gar nicht reservieren müssen, um einen Platz zu bekommen. Das hätte natürlich auch das hochbezahlte DB-Management wissen können, aber zuständig für den Nachtverkehr war ausgerechnet jemand, der noch nie in seinem Leben mit einem Nachtzug gefahren war …
Und mit diesem Cliffhanger verabschiede ich mich jetzt bis zur Fortsetzung dieses Erzählstranges.