rail blog 86 / Joachim Holstein

Der Gutenachtzug

Seit dem 25. Mai haben Menschen aus dem Politikbetrieb, die zwischen Berlin und Brüssel den Flieger nehmen wollen, eine Ausrede weniger: Nach über 14 Jahren Pause gibt es auf dieser Strecke wieder einen Nachtzug!

Der »European Sleeper« fährt montags, mittwochs und freitags von Brüssel (ab: 19:22 Uhr) über Antwerpen (20:01), Rotterdam (21:21) und Amsterdam (23:13) nach Berlin (Hbf an: 6:48 Uhr) und fährt dienstags, donnerstags und sonntags von Berlin (Hbf ab: 22:56 Uhr / Gesundbrunnen früher*) zurück und erreicht Amsterdam um 6:31, Rotterdam um 7:32, Antwerpen 8:43 und Brüssel um 9:27 Uhr. Von Samstag auf Sonntag hat die Zuggarnitur Pause und wird in Berlin gepflegt.

Fahrplan und Singular zeigen: das Unternehmen hat bisher nur diesen einen Zug – Ergebnis eines leergefegten Marktes bei Schlaf- und Liegewagen, was wiederum Ergebnis der fatalen Nachtzug-Aversion der großen Bahnen DB und SNCF ist, die jahrzehntelang zuwenig investiert und kaum neue Fahrzeuge in Auftrag gegeben hatten. Alles, was Räder hat, rollt, und es ist bewundernswert, wie dieses junge Unternehmen es geschafft hat, die für diesen Zug nötigen Wagen zu beschaffen, sie für den heute nötigen und erwarteten Standard herzurichten und parallel dazu die Fahrplantrassen zu bekommen, alle technischen Fragen zu klären, und und und.

Das alles kostet natürlich Geld, und hier ist »European Sleeper« einen derzeit wohl einzigartigen Weg gegangen: das Unternehmen ist eine Genossenschaft! Als Elmer van Buuren das niederländische Projekt »European Sleeper« auf der Jahreskonferenz von »Back on Track« im Oktober 2019 in Hamburg-Altona vorstellte, bekam er Applaus und gute Wünsche auf den Weg. Als im Mai 2021 die Crowdfunding-Kampagne gestartet wurde, waren die Genossenschaftsanteile schneller weg als Karten für ein Konzert der Rolling Stones. Im Juni 2021 fusionierte man mit dem belgischen Start-Up »Moonlight Express«, das ein ähnliches Konzept verfolgt hatte, und verbindet nun beide Länder mit Berlin. Außerdem, so kann man ergänzen, bietet der Zug eine gute Verbindung mit Großbritannien, da Amsterdam, Rotterdam und Brüssel auch Halte des »Eurostar« sind. Und dass Brüssel das Potenzial zum westeuropäischen Nachtzug-Hub hat, darauf weist die belgische Sektion von »Back on Track« seit langer Zeit hin. Einer der Vorteile: man steigt im Bahnhof Bruxelles-Midi direkt von einem Zug in den nächsten, anstatt sich wie in Paris mit der Metro durch die Stadt zu quälen.

Aber der Worte sind genug gewechselt, lassen Sie uns Bilder und Videos sehen:

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https://www.europeansleeper.eu/de

https://www.europeansleeper.eu/de/der-zug

https://nl.backontrackbelgium.be/hub4brussels

https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/european-sleeper-nachtzug-neuer-nachtzug-nach-berlin-an-den-ersten-tagen-praktisch-ausverkauft-amsterdam-bruessel-oebb-nightjet-sj-snaelltaget-li.347984

Gute Fahrt, Good Night Train!

Über Joachim Holstein

(*1960) arbeitete von 1996 bis 2017 als Steward in Nacht- und Autozügen der DB, war von 2006 bis zur Einstellung dieser Verkehre Betriebsrat der DB European Railservice GmbH und zuletzt Sprecher des Wirtschaftsausschusses. Mitbegründer der Initiative zur Rettung des Nachtzuges Hamburg-Paris (2008; »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«) und des europäischen Netzwerks für Nachtzüge »Back on Track« (2015; https://back-on-track.eu/de/); Weiteres unter www.nachtzug-bleibt.eu

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