4. Die Eisenbahn in kosmologischer Sicht

Die Modelleisenbahn – Spielzeug oder mehr?

Teil 4 des fünfteiligen Gastbeitrags. Hier geht es zu Teil 1 und Teil 2 und Teil 3.

Vom Zugfahren und vom Modellbauen aus kann kam man ohne großen Umweg zu kosmischen Dimensionen kommen, eine Geometrie aus Raum (das Nebeneinander), Zeit (das Nacheinander) und der Bewegung als Synthese aus beiden.

Alles, was ist, vom Atom- bis zum Sternenkosmos, wir mittendrin, bewegt sich, nur in der ständigen Bewegung entsteht das Weltgefüge. So ist es ja Aufgabe der Eisenbahn – der großen und ihrer Miniausführung auf dem Zimmerboden[6].

Auch die Sterne und Planeten bewegen sich auf festgefügten Bahnen / Gleisen. Diese sind zwar nicht aus Eisen, sondern beruhen auf dem Kräfteaustausch der Weltkörper, der Gravitation. Auch bedarf es keiner »Befeuerung«, denn der Energievorrat im Kleinen und Großen des Weltalls erschöpft sich nicht, er nimmt nur ständig neue Wirkungen an. Auch wenn die Analogie nicht ganz zutrifft, so kann man doch sagen, dass die reale Eisenbahn und ebenso die Modelleisenbahn als kleiner Kosmos vorgestellt werden kann, jeweils ein energetisch bewegtes Gebilde auf gebahnten Strukturen.

Stoff und Temperatur einerseits und Raum, Zeit und Bewegung andererseits sind die Grundlagen, von den die nähere Betrachtung ausgeht. Hinzu kommt die Netzbildung.

Es sind die leichtesten und beweglichsten, leicht fusionierenden Atome, die das Sein des Kosmos und mithin jeder der Teile, das zeitlich befristete Dasein, ausmachen. Das einfachste Atom ist der Wasserstoff H, ein Kern und ein ihn umkreisendes Elektron. Dieses Atom macht 70 % der kosmischen Materie aus, mit ihm ließe sich allerdings keine Lokomotive kreieren, gleichwohl ist es beteiligt.

Das Dampfross ist eine Kombination aus wenigen Stoffen und, wie gesagt, leichten Elementen (im Folgenden sind in der Klammer die Elektronenzahlen angegeben). An erster Stelle steht der Kohlenstoff C (6), die fossile Kohle, mit der in Verbindung mit dem zweiatomigen Sauerstoff O2 (8) der Luft die Hitze erzeugt wird. Dadurch wird Wasser H2O aus dem flüssigen, noch trägen Zustand in den flüchtigen Dampf verwandelt. Wie die Kohle aus weit abgelegenen Quellen muss das Eisen Fe (26) herbeigeschafft werden, mit dem die Mechanik der Lok vom Chassis, der Behälter der Befeuerung, des Gestänges und der Räder hergestellt wird. Das schwerste Atom in diesem Ensemble ist somit das Eisen, aber auch dies ist gewichtmäßig weit entfernt von den Metallen wie dem Uran mit 92 Elektronen[7].

Der Raum ist ein teilbares Kontinuum. Sitzt man im wirklichen Zug, dann lässt sich leicht bemerken, wie wechselseitig Raum und Zeit sich im Gemüt abbilden.

Angenommen, dass draußen stockfinstere Nacht ist, dann schaltet sich das sonst immer vorherrschende Zeitverständnis gewissermaßen aus. Wir sind zwar unterwegs, aber an unserem Sitz im Stillstand. Da kommt der Raum wieder deutlicher ins aktive Bewusstsein. Man schaut sich um, man sieht die Aufreihung der (leeren) Sitze, den Mittelflur, den Anfang und das Ende der gegenwärtigen Hülle, die Zugangstüren oder die Stelle, wo die Koffer verstaut werden, eine gerastete Ordnung der Sitzreihen.

Nachdem die Musterung der Eigenschaften des Nebeneinanders im Raum beendet ist, kommt die Zeit doch wieder zurück. Oft in der Form, dass man in die (eigene) Vergangenheit eintaucht. Oder man ist traurig, weil man abreisen musste (das Gemütserlebnis im Vergangenen), oder man freut sich, weil man im Ziel der Reise erwartet wird (dieses im Zukünftigen).

Jedenfalls befindet man sich in der Hülle eines anscheinenden ruhenden, gleichwohl bewegten Raums.

Der Zug fährt in einen Bahnhof ein und hält an. Jetzt kommt die gegenwärtige Zeit zurück. Steigen jetzt Reisende zu, dann ergibt sich eine andere Zeit- und Raumsituation, ein anderes, bewegliches Ordnungsgefüge, denn, wie man es oft erlebt hat, nehmen die Zugestiegenen nicht gleich den erstnächsten Sitz, sondern suchen und wechseln nach den Vorstellungen der optimalen Platzierung.

Ich hatte einmal ein sehr schönes Erlebnis (von vielen anderen in Zügen). Auf der Samstagnachmittagsfahrt von Berlin nach Bonn war ich zunächst der einzige Passagier im Wagen. Die Tür geht auf, eine junge Frau kommt dazu, blickt sich um, und dann fragt sie mich: Ist der Sitz (mir gegenüber) hier noch frei? Aber ja! Das war pragmatische, unbürgerliche Freiheit ihrerseits, wir bildeten eine beiderseitige, willkommene Gesprächsdualität. Wir sind ein Gespräch, wir sollten es sein. Ein weiterer (mitmenschlicher) Raum im Raum, und, wie man so sagt, die Zeit verging »wie im Fluge«.

Ein andermal, ebenso unvergesslich, hatte ich mich mit dem einjährigen Moritz angefreundet. Und daher übernahm ich ihn, als die Mutter mich darum bat, weil sie sich eine Auszeit im Bistro genehmigen wollte. Doch sie blieb da länger, die Mitreisenden begannen zu lächeln und ich mich zu fürchten, weil Köln immer näher rückte. Nun ja, ich wurde schließlich doch nicht der Stiefvater von Moritz.

Ich kann noch viele Geschichten erzählen. Einmal war so dichter Schneefall, dass man sich von einer Gelegenheit der Weiterfahrt zur andern durchhangeln musste. In Dortmund stand ein Zug, der versprach, dass ich Hannover erreichen könnte. Nun lächelte mir das Glück, denn, da ich am Triebwagen eingestiegen war und die Tür zum Führerstand offen stand, fragte ich den Lokführer, ob wir Hannover tatsächlich erreichen könnten. Das ist ungewiss, da viele Weichen vereist sind, sagte er, aber nehmen Sie ruhig Platz neben mir.

So erlebte ich die Welt im Führerstand. Der Lokführer, ein aus der DDR-Reichsbahn nach der Wende Übernommener, hatte wohl noch nicht alle Dienstanweisungen im Blick oder sie waren ihm gleichgültig. Er erzählte, war er sich demnächst vornahm. Es war, so geplant, eine Urlaubsfahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn zum Baikalsee, um dort eine Angelwoche zu genießen.

Währenddessen war ständiger Funkverkehr, die Durchfahrt Gütersloh war wegen einer vereisten Weiche nur möglich, indem wir auf das Gleis der Gegenrichtung auswichen. Ach, es war herrlich, wie wir beide, von den Stellwerken informiert, schließlich im dichten Schneetreiben doch noch Hannover erreichten.

Wenig ist so geeignet, die Mannigfaltigkeit der Erdoberfläche zu erleben, wie eine lange Zugfahrt. Zwei sehr lange Zugfahrten habe ich dienstlich veranlasst unternommen. Von Bonn nach Ljubljana/Slowenien und von Bonn nach Pécs/Ungarn. Zunächst die Fahrt durch das Rheintal, danach durch das süddeutsche, hügelige Tafelland, dann durch das Donautal in das Flachland des südwestlichen Ungarns, nach Slowenien über die Hohen Tauern und noch einmal die Hochgebirgsüberquerung der Karawanken. Und ganz anders in der Topographie die Reise von Bonn nach Rennes/Bretagne und von Bonn nach Newcastle upon Tyne in Nordengland. Was man alles verwirklichen kann! Der Nachtzug nach Brest bestand aus Schlafwagen, und diese waren so aufgereiht, dass sie jeweils in den ersten, zweiten usw. Bahnhöfen abgekoppelt wurden, die Reisenden konnten bis acht Uhr durchschlafen.

Nicht nur die Morphotektonik veränderte sich auf den grenzüberschreitenden Fahrten, sondern auch die Art, Sprache und das Verhalten der Mitreisenden. (Sitzen sie sich stumm gegenüber oder geraten sie in ein Gespräch?) Wie viele Lebenserfahrungen und Weltkenntnisse sind schon auf Zugfahrten vermittelt worden! So zum Beispiel, als Professor Kuckuck dem erstaunten Felix Krull erklärte, dass dieser auch einen Raum ausmacht, der in lauter kleine Klumpchen aufgeteilt sei[8].

Die Bahnhöfe sind die Knoten, und die schönsten unter ihnen sind die Londoner Kopfbahnhöfe, vor allem Victoria Station und Paddington Station. Es sind frühe Exemplare, und es sind riesige und sehr hohe Hallen. Ihre enorme Höhe war notwendig, damit die Reisenden nicht am ausgestoßenen Dampf der eingefahrenen Loks erstickten. Ein anderes Gehäuse, indem die Reisenden eilig unterwegs sind, denn die Züge warten nicht auf Bummler oder Verliebte, die sich nicht voneinander losreißen können. Im Fall der Pariser Kopfbahnhöfe hat man Halle und (überdachte) Bahnsteige getrennt, das war wegen der Luftreinhaltung sehr vernünftig.

Wenn man in den Stuttgarter Kopfbahnhof einfährt, ist man doch immer wieder überrascht, wenn der eigene Zug und andere von einem Gleis auf ein anderes wechseln und Berührungen unterbleiben! Was für Koordinationshelden müssen doch in den Stellwerken sitzen!

Es gibt beim Zugfahren somit ständig neue Standorte, de facto unendlich viele, und somit raum-zeitliche Bezugssysteme, die unsere seelische Innerlichkeit reizen, und manchmal auch foppen, so, wenn man glaubt, dass die Fahrt weitergeht, und es doch ein Zug auf einem benachbarten Gleis im Bahnhof ist.

So träumt der Modellbahnbetreiber erinnernd so vor sich hin, wenn er die wenigen Meter seiner Modellbahn überblickt. Als Betreiber einer Modelleisenbahn stehen wir auf dem Standort »über den Dingen«, die sich da auf dem Fußboden abspielen. Wir waren Schöpfer, was nicht ganz einfach ist, wenn wir nicht gerade einen schlichten Kreis kreiert haben.

In der Nähe von Salzburg, in Anger, befindet sich im Museum Hans Peter Porsches eine Großanlage[9]. Ein Traumwerkzeug, so lautet auch der Name. Wir waren hingerissen, weil zum einen Alpenszenerien, und zwar sowohl winterliche wie sommerliche, aufgebaut sind und an anderer Stelle ein mittelstädtischer Hauptbahnhof und auch noch andere Szenerien vorhanden sind. Da besteht der Reiz in den Abbildern bestehender räumlicher Archetypen und zum anderen in der Kybernetik der stabilen Bewegungen so vieler Elemente.

Im Fall unserer deutlich kleineren Modellbahn sind wir auch Betreiber, am besten mit Hilfe, so wie im Fall der WKE. Da digitale Hilfen nicht vorhanden sind, sind wir zu eigener Bewegung aufgefordert. Energiefluss regeln, Weichen umstellen, genau Zugläufe beobachtend, so dass keine Unfälle passieren. Jedenfalls hat man Verworrenheit, so weit wie möglich, vermieden und war vergnügt dabei.

Dann verlässt man das Modellbauzimmer und tritt in die realen Zimmer. Wie viel Vergnügen oder vielleicht auch Verworrenheit wird man dort antreffen?

Nächster Teil dieses Gastbeitrags: Immanuel Kants Seelenlehre auf dem Zimmerboden?

Wie immer freut man sich, wenn auf ein Schriftstück eine »Rückkopplung«, eine Antwort, erfolgt. Gerne auch per Mail an rderenbach@gmx.de


[6]  Wenn die Loks nicht mehr bewegt werden, dann verrotten sie schnell. Ein Bild des Jammers über die Befristung des Existierenden sind die ausrangierten Ruinen von Dampflokomotiven, die auf einem Abstellgleis im Bahnhof von Nördlingen abgestellt waren. Dort befindet sich das bayrische Eisenbahnmuseum. (www.bayerisches-eisenbahnmuseum.de). Ich nehme an, dass die abgestellten, verrosteten Lokruinen als Ersatzteillager für die noch betriebstüchtigen Modelle dienen. So, wie sie dastehen, sind sie ein Bild der Vergänglichkeit, die ja für die Dampfloks mit Beginn der 1960er Jahre eingetreten war. Schön, dass sie wenigstens als Loks der Museumsbahnen noch in Betrieb sind.

[7]  Dazu Rolf Derenbach: Beständig durch Bewegung – die Erde. Berlin 2021.

[8]  Thomas Mann: Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. (1954) Frankfurt a. M. 1961.

[9]  Hans-Peter Porsches Traumwerk info@traumwerk.de

Über Rolf Derenbach

Rolf Derenbach( 1944) Dr.-Ing., Studium der Architektur, Stadt- und Regionalplanung an der Hochschule für bildende Künste Berlin und an der Technischen Universität Berlin. 1973 Institut DATUM (Projekt zur Nutzung des Computers für die räumliche Planung), seit 1976 Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung mit den Themen Bildungsgeographie und eigenständige Regionalentwicklung durch Qualifikation und Innovation (einschl. Gutachten für die EU-Kommission). Seit 1989 Referent für Bildung, Kultur, Europa und internationale Partnerschaften. Nachberuflich: Schriften zur Architektur, Geographie, Geschichte und Philosophie, die im online Portal der Freien Universität Berlin verfügbar sind (refubium.fu-berlin.de).

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