6. Das einzig sinnvolle Großprojekt: Renaissance der Flächenbahn und der Straßenbahn

Letzter Teil des sechsteiligen Beitrags zu Großprojekten der DB. Hier geht es zu Teil 1 und Teil 2 und Teil 3 und Teil 4 und Teil 5

Trotz aller aufgeführten, verständlichen Gründe für die Fixierung von Politik, Verwaltungen und Medien auf Großprojekte bleibt am Ende mit eindeutiger verkehrlicher Rationalität nur eine zukunftsträchtige Investitionsstrategie für den Verkehr in Deutschland: Die Bahn braucht eine Renaissance als Flächenbahn. Damit kann sie wieder zur Nummer 1 im Verkehr werden, weil sie dann die Verkehrsmärkte optimal bedient. Das bedeutet, man muss in etwa 250 Regionalbahnnetze investieren und hierfür mindestens 300 stillgelegte Strecken reaktivieren. Man muss ein Netz von etwa 50 InterRegio-Linien aufbauen. Man muss etwa 6.000 neue Bahnhöfe bauen. Für die Logistik braucht man etwa 12.000 von der Bahn als wichtigstem Partner gestützte Mobilitätszentralen, eine Standardeinrichtung aller Bahnhöfe. Vor allem aber braucht man nach Schweizer Vorbild ein Generalabo, das alle verschiedenen Arten von öffentlichem Verkehr landesweit integriert. Man braucht hierfür eine konsistente Gesamtphilosophie eines nationalen integralen Taktfahrplans. Für den Güterverkehr braucht man etwa 600 neue Güterverkehrsknoten mit moderner Umschlagtechnik und Logistik. Für den im Transport auf der Straße dominierenden regionalen Gütertransport muss man eine passende Alternative finden. Das können attraktive Güter-S-Bahnen und Güterregionalbahnen sein. Sie operieren vorzugsweise mit modernen Güter- Leichttriebwagen nach dem Modell des Cargo-Sprinters. Warum soll die Philosophie der Leichttriebwagen, die den Personenverkehr der Bahn in den Regionen positiv beflügelt hat, nicht auch im Güterverkehr greifen?

Und auch im kommunalen Bereich ist eine Trendwende weg von den Großprojekten erforderlich. Anstelle weniger Tunnelprojekte braucht es viele Neu- und Ausbauprojekte im Bereich der Straßenbahnen. Viele Städte in der Schweiz und in Frankreich haben vorgemacht, wie man mit moderner, angepasster Technik, kontinuierlichem Ausbau und guter städtebaulichen Integration kommunale Verkehrsmärkte aufrollen kann. Für eine ausreichende Verkehrswirkung braucht man allerdings richtige Netze, und die kann man nur ausbauen, wenn sich die Investitionen je km Strecke im überschaubaren Rahmen halten. Dabei sollte mehr Geld in eine gute gestalterische Integration als positivem Bestandteil des öffentlichen Raumes investiert werden, die reinen Tiefbauinvestitionen dagegen sollten bewusst begrenzt werden auf das betrieblich Notwendige. Und auch hier gibt es Parallelen zum Güterverkehr, denn mit der Cargo-Tram, die sich inzwischen in einigen Pilotprojekten bewährt hat, können beträchtliche Volumina des innerörtlichen LKW- Verkehrs verlagert werden.

Auch im Straßenbau ist eine Abkehr von den Großprojekten dringend nötig. jetzt müssen die bestandsorientierten Sanierungsinvestitionen Priorität erhalten. Tausende von Kilometern innerörtlicher Hauptverkehrsstraßen warten auf eine bessere städtebauliche Integration, auf eine Einbeziehung in die flächenhafte Verkehrsberuhigung und auf ein Verbesserung ihrer Fuß- und Radverkehrsanlagen. Der Anspruch des Autoverkehrs auf hohe Geschwindigkeiten im innerörtlichen Straßennetz muss klar beschränkt werden.

Grundlage für eine solche Umorientierung der Verkehrspolitik auf allen Ebenen muss ein deutscher Gesamtverkehrsplan sein, der die Prioritäten angemessen festsetzt, der sich vom alten Korridordenken bei der Bahn löst, der den Bahnen auf allen Ebenen einen neuen, prioritären Leistungsauftrag gibt. Das fatale Korridordenken des Bahnmanagements hat in den letzten Jahrzehnten zu einer völlig ungleichmäßigen Auslastung des Schienennetzes geführt.

Während auf wenigen Strecken mit 40 und mehr Fernzügen pro Tag am Rande der Kapazität gefahren wird, weil ja daneben noch in hohem Maße Regional- und Nahverkehrszüge verkehren müssen, sind weite Teile des Hauptstreckennetzes mit weniger als 10 Fernzügen pro Tag nur schlecht ausgelastet. Hier neue Fernverkehrsrelationen aufzubauen, beispielsweise mit den 50 neuen InterRegio-Linien, ist ein wichtiger Baustein für eine Bahnrenaissance. Dazu gehören vor allem auch neue Ost-West-Verbindungen, die trotz der Wende in den letzten Jahrzehnten sträflich vernachlässigt wurden. Zur modernen Flächenbahn gehören auch viel mehr grenzüberschreitende Bahnverbindungen im Nah- und Fernverkehr. Das sind Europas Bahnen der europäischen Einigung schuldig. Dafür sind nicht primär die Transeuropäischen Netze des Fernverkehrs gefragt, sondern die Netze des »kleinen Grenzverkehrs«, der täglich etwa das Zwanzigfache des internationalen Fernverkehrsvolumens ausmacht.

Natürlich wird das alles auch kosten. Für die Finanzierung braucht man den Mut, ein durchgängiges fahrleistungsabhängiges Mautsystem für alle Fahrzeuge zu entwickeln. Die Automatismen fortwährenden Straßennetzausbaus müssen parallel dazu unterbrochen werden. Die bisherige autolastige Zweckbindung vieler Verkehrseinnahmen (vor allem auch der Erschließungsbeiträge) muss aufgelöst werden. Ein eigenes Gleisanschlussprogramm für Gewerbegebiete ist nötig. Die Effizienz im Verkehr muss als oberstes Ziel festlegt werden. Dann ist ein Ausstieg aus der Stau- und Autogesellschaft möglich, mit Nutzen für alle.

Über Prof. Dr. Heiner Monheim

(*1946), Geograf, Verkehrs- und Stadtplaner, seit den 1960er Jahren befasst mit den Themen Flächenbahn, Schienenreaktivierungen, Erhalt des IR, S-Bahnausbau und kleine S-Bahnsysteme, Stadt- Umland-Bahnen, neue Haltepunkte, Güter-Regionalbahnen, Bahnreform 2.0, Kritik der Großprojekte der Hochgeschwindigkeit und Bahnhofsspekulation. Details: www.heinermonheim.de

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